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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Autoren: Francesca Melandri
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Magnago gewandt: Er habe sich sein ganzes Leben lang immer gewünscht, ihn einmal leibhaftig, in Fleisch und Blut, vor sich zu sehen.
    Magnago deutete auf seinen mageren Brustkorb. »Blut wird da noch drin sein, aber Fleisch …, tut mir leid, davon werden Sie kaum noch was finden …«
    Er sagte das wie ein professioneller Komiker, ernst und ohne eine Miene zu verziehen. Sein Publikum honorierte es und brach wieder in lautes Lachen aus.
    Da hatte Gerda sich bereits verwirrt entfernt.
    Der Geruch von Desinfektionsmitteln und Javelwasser überlager te die Ausdünstungen des verfallenden Körpers. Doch die Luft stand schwer im Raum und deutete an, dass der Tod nicht mehr fern war. Hermanns Schultern waren immer noch breit, quadratisch; wegen seiner langen Beine, die seine Tochter von ihm geerbt hatte, stieß er am Fußende des Bettes an. Der Arm, der auf dem Betttuch lag und in den Tropfen für Tropfen eine Infusionslösung lief, war immer noch muskulös. Er schlief.
    Gerda stand in der Tür und zögerte einzutreten. Es war ein heller, großer, natürlich unregelmäßig geschnittener Raum. Der Abstand zwischen sich und der Gestalt dort auf dem Bett kam ihr zu groß vor, um ihn überbrücken zu können. So stand sie lange Zeit nur da und blickte ihn aus der Entfernung an. Es kostete sie einige Überwindung, endlich näher zu treten, sich einen Stuhl – in gewagtem Röhrendesign – heranzuziehen und Platz zu nehmen.
    Hermann schien sie nicht zu bemerken. Die Fensterbank stand voller Figürchen aus Brotkrumen, ein eigenes Völkchen, das sich im Gegenlicht wie ein eigenes Volk vor dem Himmel abzeichnete. Vom Föhn getrieben, zogen hinter der Scheibe lin senförmige Wolken mit verschwommenen Umrissen durchs Blau. Gerda sprach ihn nicht an, diesen Mann, der früher einmal ihr Vater gewesen war, und versuchte auch nicht auf andere Weise, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Reglos und stumm saß sie da, so als seien auch ihre Gefühle von dem Javel wasser desinfiziert worden.
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie dort saß. Nach einer Weile schlug ihr Vater die Augen auf und nahm ihre Gegenwart wahr. Er drehte sich zu ihr um und betrachtete sie mit einem stumpfen Blick, der sich plötzlich aufhellte. Seine Augen glänzten jetzt wie die eines kleinen Jungen.
    Sie war es.
    Ja, kein Zweifel, sie war es.
    Die länglichen Augen. Die hohen Backenknochen. Der weiche Mund, der nur liebe Worte sprach.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung, der Zufriedenheit und des Trostes senkte Hermann die Augenlider.
    »Mamme …« , murmelte er mit geschlossenen Augen.
    Wie lange hatte er doch auf sie gewartet. Sein ganzes Leben lang.

Km 1397
    Gabriele hat mich abgeholt und zur Wohnung seiner Eltern gebracht. Seine Mutter macht uns auf. Sie reicht mir nur bis zu den Schultern, hat kurze graue Haare, die früher wohl einmal gelockt waren, und einen korpulenten Körper. Aber auch grüne, strahlende Augen und eine schöne, melodische Stimme.
    »Schön, dass Sie endlich da sind. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange mein Mann schon auf Sie wartet.«
    Verlegenheit? Eifersucht? Nicht die Spur. Stattdessen beugt sie sich zu mir vor und fährt leiser fort.
    »Seien Sie mir bitte nicht böse, aber ich werde so tun, als wüsste ich nicht, wer Sie sind. Er soll nicht denken, dass er mir vielleicht wehtut.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber sie braucht meine Worte nicht, um fortzufahren. »Wenn Sie noch einen Moment Geduld haben …, ich muss das Wohnzimmer noch fertig machen, hier bei uns geht es gemächlich zu, ich bin ja auch kein junges Mädchen mehr.«
    Und damit verschwindet sie hinter einer Tür mit einer Mattglasscheibe, der einzigen Lichtquelle in dem Flur mit den dunklen Steinfliesen.
    Es riecht nach Tomatensoße.
    »Möchtest du einen Espresso?«, fragt mich Gabriele.
    »Ja, danke.«
    »Ich mach ihn dir in der Küche.«
    Ich lege ihm eine Hand auf die Schulter. »Bitte, lass mich nicht allein.«
    Er nickt und scheint nicht überrascht zu sein. Er legt seine Hand auf meine, während ich ihm einen dankbaren Blick zuwerfe.
    An den Flurwänden hängen verschiedene Urkunden. Gabriele bemerkt, dass ich sie anschaue, und schaltet das Licht ein.
    Die Auszeichnungen sind alle Vito Anania verliehen worden.
    BRONZENE VERDIENSTMEDAILLE FÜR
    LANGJÄHRIGEN MILITÄRDIENST
    SILBERNE VERDIENSTMEDAILLE FÜR
    LANGJÄHRIGEN MILITÄRDIENST
    GOLDENE VERDIENSTMEDAILLE FÜR
    LANGJÄHRIGEN MILITÄRDIENST
    GOLDENES KREUZ FÜR DAS
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