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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Autoren: Francesca Melandri
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DIENSTJUBILÄUM
    RITTER DER REPUBLIK ITALIEN
    MAURITIUS-MEDAILLE
    Aufgehängt ist auch eine »feierliche Belobigung« mit ausführlicher »Begründung«.
    Ich fange an zu lesen.
    Im Einsatzkommando arbeitete er erfolgreich seinem Vorgesetzten zu, dessen schwierige, riskante Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität zur Festnahme von zwanzig wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gesuchten Straftätern führten, die für acht Fälle von Schutzgelderpressungen, siebzehn Sprengstoffanschläge, sieben schwere Sachbeschädigungen und weitere kleinere Delikte verantwortlich zeichneten, und von denen zwei festgenommen werden konnten, während sie mittels Leitung den Ablauf der Übergabe einer beträchtlichen Geldsumme diktierten.
    »Was ist denn mit ›mittels Leitung‹ gemeint?«, frage ich Gabriele.
    »Am Telefon.« Seine Augen lachen ein wenig, doch sein Mund bleibt ernst.
    Durch die Glastür kommt Vitos Frau zurück. Sie hat sich eine Jacke übergezogen und hängt sich jetzt eine Tasche über die Schulter. Zu ihrem Sohn sagt sie: »Ich nutze die Gelegenheit, solange ihr hier seid, und gehe einkaufen.«
    Mir erklärt sie, als würde ich schon dazugehören: »Wir können ihn nicht mehr allein lassen.«
    Und dabei lächelt sie mich so herzlich an, dass ich nicht anders kann, als das Lächeln zu erwidern.
    »Sie ist da.«
    Gabriele öffnet die Tür, lässt mich eintreten und geht dann in die Küche, glaube ich jedenfalls, denn ich nehme sonst gar nichts mehr wahr.
    Vito liegt auf dem Sofa, in einem Meer von Kissen, mit einer kurzen Decke über den auf einem Puff ruhenden Beinen.
    »Eva …«
    Wie alt er geworden ist. Und wie krank er aussieht. Nur die Augen sind noch so, wie ich sie in Erinnerung habe, alles Übrige ist zum Sterben bereit.
    »Endlich bist du da.«
    Ich schaffe es noch nicht einmal, seinen Namen zu sagen. Er bedeutet mir, näher zu kommen. Ich durchquere den Raum, während er mich betrachtet und sein Blick nicht ablässt von mir.
    »Wie schön du bist.«
    Noch nie im Leben war ich mir so bewusst, wie sehr ich meiner Mutter ähnele.
    Was sagt man in solch einer Situation? Was sagt man, wenn man einen Menschen wiedersieht, der mehr als dreißig Jahre zuvor … Ich weiß es nicht. Deshalb frage ich nur:
    »Wie geht’s dir?«
    »Na ja, du siehst ja selbst …«
    »Hast du starke Schmerzen?«
    »Nachts schon …«
    Mit der flachen Hand klopft er ein paarmal sanft aufs Sofa, eine Einladung, als wolle er mich zum Tanzen auffordern.
    »Komm, setz dich zu mir, erzähl mir von dir … Ich will alles wissen.«
    So, jetzt ist es so weit, denke ich, jetzt fragt er mich, ob ich verheiratet bin, ob ich Kinder habe …
    »Was machst du beruflich? Ich bin sicher, du bist sehr erfolgreich. Was hast du denn studiert?«
    Es ist genau die Stimme, mit der er mir von den Abenteuern der Tigerjungen in Malaysia vorgelesen hat, nur schwächer.
    Ich schüttele den Kopf.
    »Ich habe gar nicht fertig studiert. Ich organisiere Events.«
    »Events?«
    Ich erzähle ihm, dass ich in Jura eingeschrieben war und mich auf Arbeitsrecht spezialisieren wollte, aber im zweiten Semester eine Stelle in einem PR-Büro fand und zu keiner Prüfung mehr erschienen bin. Dass ich mich dann irgendwann selbstständig gemacht habe und heute eben alle möglichen exklusiven Veranstaltungen organisiere. Ja, verdienen würde ich gut, erzähle ich weiter, und dass ich mir ein schönes Haus gekauft hätte. Und meine Mutter sei froh, dass ich keine Sklavenarbeit verrichten müsse, wie sie das nenne.
    Vito lässt mich erzählen und verzichtet auf jeden Kommentar. Er bemängelt nicht, dass ich mein Studium nicht abgeschlossen habe, kein Wort davon, dass er vielleicht enttäuscht über mich sei. Und er sagt auch nicht: Wäre ich da gewesen, hätte ich dich unterstützt, damit du dich anders entscheidest. Er nickt nur bedächtig, als bedenke er den Lauf der Dinge, der nicht mehr zu ändern ist. Aber ich glaube schon, dass ihn meine Antwort enttäuscht hat.
    Auch von meiner Mutter will er nicht wissen, ob sie geheiratet hat. Er fragt nur, wie es ihr geht. Ich erzähle es ihm.
    »Weiß sie, dass du hier bist?«
    »Ich habe es ihr heute Morgen gesagt, bevor ich hierherkam. Aber wahrscheinlich nicht so, wie es gut gewesen wäre.«
    Er nickt wieder auf diese bedächtige, langsame Art. Was er auch nicht sagt: Grüß sie bitte von mir.
    Dann fragt er mich nach den Leuten, die er gekannt hat. Es wird immer leichter, miteinander zu reden. Ich erzähle
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