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Eva Indra

Eva Indra

Titel: Eva Indra
Autoren: Bis aufs Blut
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kleines gekränktes Mädchen in Tränen ausgebrochen. Sie hatte sich unsterblich in ihn verliebt! Nein, mehr noch, sie liebte ihn und welch ungestümes Verlangen brodelte in ihrem Leib es ihm mitzuteilen. Warum zögerte sie? Warum teilte sie ihm nicht mit wie sie fühlte? Weil sie dieses unfassbare Gefühl nicht in Worte fassen konnte? Doch, doch, es zu sagen hätte sie fertiggebracht. Aber wenn sie es aussprechen würde, was dann? Dann stünden diese drei Worte über der Brücke wie eine wabernde Rauchschwade und was käme dann? Nur mit diesem Geständnis und der darauffolgenden Einsamkeit hätte sie nicht leben können. Aber war das wichtig? Was spielte es für eine Rolle? Woher kam dieses Wissen so urplötzlich? Und mit einem Male dämmerte es ihr: Sie war erwachsen geworden. Sie konnte nun ihre Worte kontrollierter anwenden. In diesem Fall aber gab es nichts mehr zu sagen. Deshalb schwieg sie trotz pochendem Herzen! Schwieg sie zum ersten Mal, weil es das einzig Richtige war, wenn man jemand bedingungslos liebte. Eine Liebe, die sie ihm aus Liebe nicht aufdrängen wollte. Abgesehen davon würde er am nächsten Tag nach Los Angeles fliegen und zwar ohne sie. Sie hatten dies nicht besprochen, aber gerade weil sie es nicht diskutiert hatten wusste Anna, dass es so kommen würde. Wehmütig blickte sie ihn an. Weit weg war er und dennoch hätte sie alles darum gegeben, zu wissen, wohin ihn seine Gedanken trieben. Doch zu einem Gespräch kam es nicht. Stumm ließ sie ihren Blick auf ihm haften - an ihm, der durch seine hagere Gestalt, seine stets schwarze Kleidung und seinen melancholischen Blick auf den reißenden Fluß schon fast zu einer der Figuren auf der Brücke geworden war. Wollte er sich gar unter ihnen verstecken?
    Engumschlungen, die Körper ineinander verstrickt, waren sie am Vorabend eingeschlafen. Mit sanfter Stimme hatte er sie gebeten, nicht mit ihm auf die Karlsbrücke zu kommen.
    „Warte im Hotel auf mich! Ich mach’ das alleine, glaube mir“, hatte er ihr zärtlich ins Ohr geflüstert.
    „Okay“, hatte sie gesagt und hätte ihm jeden Wunsch erfüllt. Am nächsten Morgen konnte sie jedoch nicht von seiner Seite weichen. Jede verbleibende Minute, jeden noch so banalen Atemzug wollte sie mit ihm erleben. Es schien ihm nicht einmal
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Eva Indra Bis aufs Blut
    aufzufallen, dass sie dann doch mit ihm ging, so selbstverständlich war es wohl für Beide. Sie gehörten zusammen, ob sie es wahrhaben wollten oder nicht.
    Schweigend standen sie auf der Brücke, als Anna in weiter Ferne die Gestalt eines kleinwüchsigen Mannes mit einem Trenchcoat erkannte. Das wird Vaclav sein, dachte sie und ein gewaltiger Schauer der Angst durchzog ihren Körper.
    „Alex“, sagte sie kaum hörbar.
    Geistesabwesend wendete er seinen Blick auf sie.
    „Da kommt jemand!“
    Alex folgte ihrem Blick. Der kleine Mann wurde merkwürdigerweise immer größer, je näher er auf sie zukam. Es war, als ob er mit jedem Schritt wachse und als er schließlich vor ihnen stand wirkte er wie ein Koloss. Aber nicht nur deshalb hatte sie Angst vor ihm, sondern vor der Situation, die jetzt kommen würde. Genaugenommen hatte sie gar keine Angst vor ihm, sie hatte Angst um Alex!
    „Alex?“, fragte der Mann, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
    Alex schaute ihn verdutzt an, antwortete dann leicht belustigt „Nein!“, wandte sich von ihm ab, um den herrlichen Blick über den Fluss zu genießen.
    Anna erschrak. 'Nein' hatte er gesagt, einfach nur 'nein'. Es war ein bestimmtes und gleichzeitig gelangweiltes 'nein' gewesen, kein langgezogenes unsicheres 'neeeiin' und auch kein gehetztes abgehacktes 'nein'. Einfach nur ein klares deutliches 'nein'. Unglaublich, dachte Anna. Warum hatte er sich verleugnet? Das war doch mit Sicherheit Vaclav. Sie verstand die Welt nicht mehr. Alex ignorierte den „Trenchcoat“, legte statt dessen liebvoll seinen Arm um Annas Schulter und zog sie fürsorglich etwas näher zu sich heran. Der Tscheche war ein paar Meter entlang der Brücke gegangen, um dann doch gleich wieder wie angewurzelt stehen zu bleiben. Ruhelos blickte er um sich.
    „Ist Prag nicht wunderschön, mein Liebling?“, fragte Alex mit einer tiefen, sanften Stimme und küsste sie zärtlich auf die Stirn.
    Hatte er sie nicht mehr alle? Was zog er nur für eine Show ab?, dachte Anna. „Komm, lass uns ins Hotel gehen! Ich möchte dich jetzt lieben“, flüsterte er sinnlich. Anna vernahm seine Worte, aber sie machten einfach keinen Sinn.
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