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Eulen

Eulen

Titel: Eulen
Autoren: Carl Hiassen
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musste direkt lachen, weil die Situation schon komisch war – ausgerechnet Beatrix winkte Tex, dem Neuen, zu.
    Die hoch stehende Sonne und die dampfende Hitze erinnerten Roy an einen anderen strahlend schönen Nachmittag vor gar nicht langer Zeit, an einem gar nicht weit entfernten Ort. Noch vor dem Abpfiff schnappte Roy sich sein Hemd und machte sich davon.
    Es war nur ein kurzer Weg vom Fußballplatz zu dem versteckten Fluss. Roy kettete sein Rad an einen knorrigen Baumstumpf und bahnte sich einen Weg durch die dicht stehenden Bäume.
    Es war Flut und vom Ruderhaus der Molly Bell schaute nur noch ein verwitterter Balken heraus. Roy hängte seine Turnschuhe an eine Astgabel und schwamm zum Wrack hinaus. Die warme Strömung trieb ihn sanft voran. Mit beiden Händen packte er den First des Ruderhauses und zog sich auf das windschiefe nackte Holz hinauf. Es gab kaum genug Platz, um im Trockenen zu sitzen.
    Roy legte sich auf den Bauch, zwinkerte ein paar Mal, um das Salz aus den Augen zu bekommen, und wartete. Die Stille um ihn herum hüllte ihn ein wie eine weiche Decke.
    Zuerst entdeckte er den T-förmigen Schatten des Fischadlers im mattgrünen Wasser unter ihm. Später glitt der weiße Reiher dicht über das Wasser und suchte vergeblich nach einer seichten Stelle, durch die er waten könnte. Schließlich landete der Vogel auf halber Höhe auf einer schwarzen Mangrove und schimpfte.
    Roy freute sich über die elegante Gesellschaft, aber er ließ den Fluss nicht aus den Augen. Er hatte gehört, wie flussaufwärts ein Tarpon auf Futtersuche in die Luft sprang, und das hatte ihn wachsam gemacht. Und tatsächlich, bald darauf kam Bewegung in das Wasser um ihn herum. Sekunden später tauchte ein ganzer Schwarm von Meeräschen auf, schlanke Silberpfeile, die immer wieder aus dem Wasser schossen.
    Roy schob sich auf dem Ruderhaus so weit nach vorn, wie er es riskieren konnte, und ließ beide Arme hinunterbaumeln. Die Meeräschen sprangen jetzt nicht mehr, sondern schwammen in keilförmiger Formation auf die Molly Bell zu und in der Mitte des Flusses bildeten sich feine Wellen. Bald verdunkelte sich das Wasser unter ihm, und Roy konnte die Umrisse einzelner Fische mit ihren breiten Köpfen ausmachen, die alle aufgeregt um ihr Leben schwammen.
    Als sich der Schwarm dem gekenterten Krabbenfangboot näherte, teilte er sich, wie von einem Säbel durchtrennt, in der Mitte. Schnell guckte sich Roy einen Fisch aus und stieß mit beiden Händen in das Wasser, wobei er bedenklich ins Rutschen geriet.
    Einen aufregenden Moment lang fühlte er den Fisch zwischen seinen Fingern – kühl und glatt und geheimnisvoll wie Quecksilber. Er ballte seine Finger zu Fäusten, aber die Äsche schlüpfte blitzschnell davon. Noch einmal sprang sie durch die Luft, dann gesellte sie sich zu den übrigen Fischen ihres flüchtenden Schwarms.
    Roy setzte sich auf und starrte auf seine tropfenden leeren Hände. Unmöglich, dachte er. Niemand konnte diese verdammten Dinger mit bloßen Händen erwischen, nicht einmal Beatrice’ Stiefbruder. Es musste ein Trick gewesen sein.
    Ein Geräusch wie ein Lachen drang aus dem Mangrovendickicht. Roy dachte erst, es sei der Reiher, aber als er aufschaute, sah er, dass der Vogel nicht mehr da war. Langsam richtete er sich auf und legte zum Schutz vor der Sonne die Hand über die Augen.
    »Bist du das?«, rief er. »Napoleon Bridger, bist du’s?«
    Nichts.
    Roy wartete und wartete, bis die Sonne schon tief stand und der Fluss in Schatten gehüllt war. Das Geräusch, das sich wie ein Lachen angehört hatte, drang nicht noch einmal aus dem Dickicht zu ihm. Widerstrebend rutschte Roy von der Molly Bell und ließ sich ans Ufer treiben.
    Mechanisch zog er seine Klamotten über, aber als er nach seinen Schuhen greifen wollte, sah er, dass nur noch einer an der Astgabel hing. Sein rechter Turnschuh fehlte. Roy zog den linken an und machte sich, auf einem Bein hinkend, auf die Suche nach dem zweiten Schuh. Bald fand er ihn, halb im seichten Wasser unter den Ästen verborgen. Vermutlich war er hinuntergefallen.
    Aber als er sich bückte, um ihn aufzuheben, hing der Schuh fest. Die Schnürsenkel waren fest um eine dicht mit Entenmuscheln besetzte Wurzel verknotet. Roys Finger zitterten, als er die präzisen Schifferknoten löste.
    Er hob den triefenden Schuh hoch und spähte hinein. Darin steckte eine junge Meeräsche, nicht größer als der Zeigefinger eines Mannes. Sie zappelte hin und her und wehrte sich gegen ihre
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