Eulen
geläutet. Wir haben irgendwann den Hörer danebengelegt«, sagte Roys Mutter.
»Es tut mir wirklich Leid, Mom.«
»Jetzt sei nicht dumm. Ich mach dir ein richtiges Erinnerungsalbum, Schätzchen, das kannst du dann mal deinen Kindern und Enkeln zeigen.«
Lieber würde ich ihnen die Eulen zeigen, dachte Roy. Falls es bis dahin noch welche gibt.
»Roy!«
Sein Vater rief aus dem Arbeitszimmer. »Kannst du bitte mal an die Tür gehen?«
Eine magere junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren stand vor der Haustür. Sie war mit einem Spiralheft und einem Kugelschreiber bewaffnet.
»Hi, ich bin von der Gazette« ,sagte sie.
»Danke, aber wir haben die Zeitung schon abonniert.«
Die Frau lachte. »Oh, ich verkaufe die Zeitung nicht. Ich schreibe sie.« Sie hielt Roy die rechte Hand hin. »Kelly Colfax.«
An ihrem Hals entdeckte Roy mehrere bläuliche Fingerabdrücke, die stark an die Spuren erinnerten, die Dana Matherson an Roys Hals hinterlassen hatte. Roy vermutete, dass Kelly Colfax die Journalistin war, die Chuck Muckle zu erwürgen versucht hatte.
»Ich hol mal meinen Vater«, sagte er.
»Nicht nötig. Dich wollte ich nämlich sprechen«, sagte sie. »Du bist doch Roy Eberhardt, stimmt’s?«
Roy hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Er wollte nicht unhöflich sein, aber mit Sicherheit wollte er auch nichts sagen, was Fischfinger noch mehr in Schwierigkeiten bringen konnte.
Aber Kelly Colfax feuerte schon ihre Fragen ab:
»Wie kam es, dass du an der Demonstration teilgenommen hast? – Bist du mit Napoleon Bridger Leep befreundet? – Hattet ihr beide etwas mit dem Vandalismus auf dem Grundstück von Mama Paula zu tun? – Isst du gern Pfannkuchen? Welche?«
Roy schwirrte der Kopf. Schließlich unterbrach er die Reporterin und sagte: »Ich bin nur hingegangen, weil ich was für die Eulen tun wollte. Das war alles.«
Während die Reporterin Roys Worte mitschrieb, ging die Tür auf und Mr. Eberhardt trat vors Haus – glatt rasiert und frisch geduscht und in einem seiner eleganten grauen Anzüge.
»Entschuldigen Sie bitte, Ma’am, dürfte ich meinen Sohn kurz sprechen?«
»Selbstverständlich«, sagte Kelly Colfax.
Mr. Eberhardt zog Roy ins Haus und schloss die Tür hinter sich. »Roy, du musst ihre Fragen nicht beantworten.«
»Aber ich will, dass sie weiß –«
»Hier. Gib ihr das.« Roys Vater öffnete seinen Aktenkoffer und zog einen dicken Pappordner heraus.
»Was ist das, Dad?«
»Sie wird schon dahinter kommen.«
Roy öffnete den Ordner und musste grinsen. »Das ist doch der Ordner vom Rathaus, oder?«
»Stimmt«, sagte sein Vater, »eine Kopie.«
»Der mit dem ganzen Zeug über Mama Paula. Der nicht da war, als ich ihn ausleihen wollte«, sagte Roy. »Jetzt ist mir alles klar.«
Mr. Eberhardt erklärte seinem Sohn, dass er den Ordner ausgeliehen und Seite für Seite kopiert hatte. Dann war er damit zu einer Rechtsanwaltskanzlei gegangen, die sich auf Umweltschutzsachen spezialisiert hatte.
»Und darf Mama Paula jetzt die Eulenhöhlen planieren oder nicht?«, fragte Roy. »War die Genehmigung im Ordner?«
Sein Vater schüttelte den Kopf. »Nein.«
Roy war total glücklich, aber gleichzeitig auch verwirrt. »Dad, solltest du das nicht lieber irgendwem im Justizministerium geben? Wieso soll das die Zeitung bekommen?«
»Weil darin etwas steht, was alle Menschen in Coconut Cove wissen sollten.« Mr. Eberhardt sprach leise und vertraulich. »Besser gesagt – wichtig ist genau das, was nicht darin steht.«
»Und was ist das?«, fragte Roy. Sein Vater sagte es ihm.
Als Roy die Tür wieder öffnete, erwartete ihn Kelly Colfax mit einem kessen Lächeln. »Können wir weitermachen?«
Roy strahlte sie seinerseits an. »Tut mir Leid, aber ich komm sonst zu spät zur Schule.« Er hielt ihr den Ordner hin. »Hier. Das hilft Ihnen vielleicht weiter bei Ihrer Geschichte.«
Die Reporterin klemmte sich ihr Schreibheft unter den Arm und griff nach dem Ordner. Während sie die Dokumente kurz durchblätterte, veränderte sich ihre Miene. Sie sah völlig verwirrt aus.
»Was hat das alles zu bedeuten, Roy? Wonach genau soll ich suchen?«
»Ich glaube, das nennt sich UVS«, sagte Roy. Das hatte ihm sein Vater gesagt.
»Und das steht für …?«
»Umweltverträglichkeitsstudie.«
»Richtig! Klar!«, sagte die Reporterin. »Für jedes große Bauprojekt braucht man so eine Studie. Da gibt es ein Gesetz.«
»Ja, aber die Studie für Mama Paula ist nicht drin.«
»Jetzt komme ich nicht mehr
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