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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Künste und Wissenschaften; der Mensch dagegen strebt auf Grund eines noch zu erforschenden Gesetzes danach, seinen Sitten, seinem Denken und seinem Leben in all dem Ausdruck zu verschaffen, was er seinen Bedürfnissen anpaßt. Wenn auch Leuwenhoek, Swammerdam, Spalanzani, Réaumur, Charles Bonnet, Müller, Haller und andere geduldige Zoographen nachgewiesen haben, wie interessant die Sitten der Tiere sind, so bleiben doch die Gewohnheiten eines jeden einzelnen Tieres, wenigstens in unseren Augen, stets sich selber gleich, während die Gewohnheiten, die Kleidung, die Worte, die Wohnsitze eines Fürsten, eines Bankiers, eines Bürgers, eines Priesters und eines Bettlers völlig verschieden sind und sich je nach der Zivilisation wandeln müssen.
    Daher mußte das Werk, das zu schaffen war, eine dreifache Gestalt haben: je nach den Männern, den Frauen und den Dingen, d.h. den Menschen und der äußeren Form, die sie ihrem Denken geben; kurz, nach dem Menschen und dem Leben.
    Wer hat nicht bemerkt, wenn er den trockenen und abstoßenden Wortschatz der sogenannten historischen Berichte las, daß die Geschichtsschreiber zu allen Zeiten, in Ägypten wie in Persien, in Griechenland wie in Rom, vergessen haben, uns die Geschichte der Sitten zu geben? Das Fragment des Petron über das Privatleben der Römer reizt unsere Neugier mehr, als daß es sie befriedigt. Als der Abbé Barthélemy bemerkt hatte, welche ungeheure Lücke hier auf dem Felde der Geschichte klaffte, widmete er sein ganzes Leben dem Wiederaufbau der griechischen Sitten in seinem »Anacharsis«.
    Aber wie sollte man das Drama mit drei- bis viertausend handelnden Personen, wie eine Gesellschaft es darstellt, interessant machen? Wie sollte man zugleich dem Dichter, dem Philosophen und der Masse gefallen, die die Poesie und die Philosophie unter packenden Bildern verlangt? Waren mir die Bedeutung und die Poesie einer solchen Geschichte des menschlichen Herzens klar, so sah ich kein Mittel, sie auszuführen; denn bis auf unsere Zeit hatten die berühmtesten Erzähler ihr ganzes Talent darauf verwandt, eine oder zwei typische Gestalten zu schaffen, eine Seite des Lebens darzustellen. Mit diesem Gedanken las ich die Werke Walter Scotts. Walter Scott, dieser moderne »Finder« (Troubadour), verlieh einer Dichtungsgattung, die man zu Unrecht zweitrangig nennt, etwas Riesenhaftes. Ist es nicht in Wahrheit schwieriger, mit der Wirklichkeit durch Schöpfungen zu wetteifern, wie es Daphnis und Chloe, Roland, Amadis, Panurg, Don Quixote, Manon Lescaut, Clarisse, Lovelace, Robinson Crusoe, Gil Blas, Ossian, Julie d'Etanges, Mein Onkel Tobias, Werther, René, Corinna, Adolphe, Paul und Virginie, Jeane Dean, Claverhouse, Ivanhoe, Manfred und Mignon sind, als Tatsachen aufzureihen, die bei fast allen Nationen die gleichen bleiben, nach dem Geist verschollener Gesetze zu forschen, Theorien aufzustellen, die die Völker in die Irreführen, oder wie gewisse Metaphysiker zu erklären, was ist? Zunächst leben all jene handelnden Personen, deren Dasein dauernder, verbürgter wird als das der Generationen, in deren Mitte man sie geboren werden läßt, nur unter der Bedingung, daß sie ein großes Gemälde der Gegenwart sind. Sie sind dem innersten Wesen ihres Jahrhunderts abgelauscht, und also regt sich unter ihrer Hülle das ganze menschliche Herz; es versteckt sich in ihnen oft eine ganze Philosophie. Walter Scott erhob also den Roman zu dem philosophischen Wert der Geschichte; jene Literaturgattung, die von Jahrhundert zu Jahrhundert unsterbliche Diamanten einfügt in die Krone der Dichtung jener Länder, in denen die schönen Künste gepflegt werden. Er führte den Geist der alten Zeiten ein; er vereinigte in ihr das Drama, den Dialog, das Porträt, die Landschaft und die Schilderung; er wies dem Wunderbaren und dem Wahren seine Stellung an, jenen Elementen der Epik, und bei ihm berührte sich die Poesie mit der Vertraulichkeit der niedrigsten Sprache. Aber da er weniger ein System ersonnen, als vielmehr im Feuer der Arbeit oder durch die Logik der Arbeit seine Manier gefunden hatte, so war ihm nie der Gedanke gekommen, seine Dichtungen miteinander zu verknüpfen, so daß durch die Nebeneinanderordnung eine vollständige Geschichte entstand, deren jedes Kapitel ein Roman war und jeder Roman eine Zeitgeschichte. Als ich diesen Mangel der Bindung erkannte, der übrigens die Größe des Schotten nicht schmälert, sah ich zugleich das System, das der Ausführung meines Werkes
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