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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Bescheinigung über die unversehrte Jungfernschaft ausstellen sollte. Doktor Zdun, der sein Geld seit einiger Zeit anders als zuvor verdiente, machte damit ordentlich Reibach, denn ohne so eine Bescheinigung gab es Schwierigkeiten mit einer kirchlichen Trauung, und wenn das Mädchen minderjährig war, konnte es in der Besserungsanstalt in Waplewo landen. Eine falsche Bescheinigung, wusste ich, kostete sechstausend Złoty. Ein Vermögen.
    »Ania?«
    »Hm?«
    »Haben sie dir was angetan? Entschuldige, dass ich frage, ich weiß, dass es mich einen Dreck angeht, aber   …«
    »Nein. Nein, sie haben mir nichts getan. Haben mir die Schlüpfer ausgezogen und   … mich angefasst. Weiter nichts. Sie hatten Angst, Jarek   … Haben mich angefasst und sich andauernd umgeschaut, und ihre Gewehre haben sie nicht weggelegt   …«
    »Leise, Ania, leise.«
    »…   nach Angst haben sie gestunken, nach Schweiß, Rauch, haben nach dem gestunken, was da unten ist, was nach einer Explosion bleibt   … Und nach dem, wonach Uniformen stinken, weißt du, sowas, wovon einem die Augen tränen. Ich werde das nicht vergessen   … davon werde ich nachts träumen   …«
    »Leise, Ania.«
    »Aber sie haben mir nichts getan«, flüsterte sie. »Nichts. Einer wollte   … Er hat ganz arg gezittert   … Geschlagen hat er mich. Ins Gesicht geschlagen. Aber sie haben mich gelassen und sind weggelaufen   … Jarek   … Das sind keine Menschen mehr   … Nicht mehr.«
    »Das sind Menschen, Ania«, sagte ich voller Überzeugung und berührte den Brief, der in meiner Tasche raschelte.
    »Jarek?«
    »Was?«
    »Soll ich es dem Pfarrer sagen? Was sie mit mir gemacht haben?«
    Das Mädchen war wirklich nicht von dieser Welt. Die evangelisch-neophytischen Einflüsse des Ingenieurs Budischewsky hatten in ihr den Selbsterhaltungsinstinkt völlig abgetötet.
    »Nein, Ania. Sag dem Pfarrer nichts.«
    »Auch nicht bei der Beichte?«
    »Auch nicht. Analyse, hast du in Religion geschlafen, oder was? Beichten muss man Sünden. Wenn du etwas stiehlst oder Gottes Namen missbrauchst. Wenn du deinen Vater nicht ehrst. Aber es steht nicht geschrieben, dass du es beichten musst, wenn dir jemand mit Gewalt die Schlüpfer auszieht.«
    »Eh-hm«, sagte Analyse unsicher. »Und die Sünde der Unreinheit? Kennst du dich da aus? Der Pfarrer sagt, du und dein Vater, ihr seid taube und blinde Ateristen oder so   … Und du bist nicht   … Wie heißt das? Aha, du bist nicht nach dem Bilde. Nein, ich muss beichten   … Und Vater schlägt mich tot   …«
    Analyse senkte den Kopf und begann wieder zu schluchzen. Tja, da war nichts zu machen. Ich rang in mir den gerechten Zorn auf Pfarrer Kociuba nieder. Wenn ein Mann neben einer Frau im Bombentrichter sitzt, muss ersie beschützen. Sie beruhigen. Ihr das Gefühl von Sicherheit geben. Nicht wahr? Habe ich recht oder nicht?
    »Analyse«, sagte ich forsch. »Pfarrer Kociuba ist ein Idiot und scharf auf die Freidenker. Gleich werde ich dir beweisen, dass ich mich im Katechismus und der Bibel auskenne. Denn es steht geschrieben im   … Brief des Ambrosius an die Epheser   …«
    Analyse hörte zu weinen auf und schaute mich mit offenem Munde an. Mir blieb kein Ausweg. Ich fuhr weiter auf der Ambrosius-Schiene.
    »Es steht geschrieben«, laberte ich mit kluger Miene, »dass die Kaduzäer kamen   …«
    »Du meinst die Sadduzäer?«
    »Sag ich doch. Es kamen die Sadduzäer und die Zi… na, die Zöllner zu Ambrosius und sprachen: ›Ist es wahr, heiliger Mann, dass eine Jüdin gesündigt hat, der die römischen Legionäre gewaltsam die Schlüpfer ausgezogen haben?‹ Ambrosius aber malte in den Sand einen Kringel und ein Kreuzchen   …«
    »Was?«
    »Unterbrich mich nicht. Und der Heilige sprach: ›Was seht ihr hier?‹ ›Wahrlich, wir sehen hier einen Kringel und ein Kreuzchen‹, antworteten die Zöllner. ›Und so sage ich euch wahrlich‹, sprach Ambrosius, ›das ist der Beweis, dass jenes Weib nicht gesündigt hat, und ihr, Zöllner, gehet lieber nach Hause, denn ihr seid ja nicht ohne Schuld, darum richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Gehet dahin, denn wahrlich sage ich euch   – gleich werde ich einen Stein nehmen und diesen Stein nach euch werfen.‹ Und da gingen die Zöllner dahin und schämten sich sehr, denn sie hatten geirrt, als sie dieses Weib geschmäht hatten. Hast du verstanden, Anka?«
    Analyse hörte auf zu heulen und schmiegte sich an mich. Danke, heiliger Ambrosius,
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