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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt
Autoren: Andrzej Sapkowski
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verehrter Herr Kalakutas.«
    »Hör endlich auf, Jarek«, schnaufte Truthahn böse. »Und überhaupt, du solltest mir das erklären. Du weißt, was.«
    Ich machte den Mund auf, um etwas Kluges zu sagen, etwas, was meiner Intelligenz würdig war, meinem IQ, der es mitunter bis auf 180 brachte. Hatte ich meinen IQ schon erwähnt? Nein? War vielleicht auch besser so. Meine Mutter wird wütend, wenn ich mit meinem IQ angebe. Denn es wird erzählt, der Schulpsychologe habe angesichts der Testergebnisse die Bezeichnung »Tschernobyl-Mutanten« verwendet. Das sprach sich herum, sogar bis zur Religionslehrerin. Die war weniger zurückhaltend   – sie benutzte die Bezeichnung »Teufelsbrut«. Und fortan mochte man uns in der Stadt nicht mehr.
    Ich brachte nichts Kluges zustande. Plötzlich krachte etwas, krachte entsetzlich, die Erde erbebte, und es schien mir, dass die Bewehrungsstähle, die aus ebendieser Erde ragten, sich wie Regenwürmer krümmten. In der Luft begann es nach Urin, Scheiße und Kordit zu stinken, und auf unsere Köpfe ging ein Hagel von Betonbrocken, Kies, Sand und verschiedenen anderen Elementen nieder.
    »Jesus!«, stöhnte Truthahn, als eins von besagten Elementen ihn ins Kreuz traf. »Jesus, Jarek, schau doch nur   … Schau dir das an   …«
    Ich schaute hin. Und begann nervös zu kichern.
    Was den Truthahn getroffen hatte, war ein Klodeckel. Ein stinknormaler Klodeckel aus Kunststoff, verziert mit den großen Initialen »R.   Z.«, mit dem Taschenmesser eingeritzt, und mit etlichen Narben von ausgedrückten Zigaretten.
    Ja, meine Lieben, es gibt Dinge im Himmel und auf Erden, die sich die Philosophen nicht träumen lassen.
    »Jarek   …« Truthahn stieß mich plötzlich in die Seite. »Hörst du? Da weint jemand   …«
    Ich lauschte. Nein, mein hellhöriger Klassenkamerad hatte sich nicht geirrt. Jemand weinte, dieses Weinen drang durch Explosionen und Geschützdonner; es warleiser, aber anders, so sehr verschieden von dem Krachen und Aufheulen.
    Ich steckte den Kopf abermals aus dem Trichter und sah mich um, diesmal gründlicher. In unmittelbarer Nähe sah ich keinerlei Militär. Überall ringsum kroch dicker, stinkender Rauch über den Boden. Der Rauch erfüllte auch die Bismarck-Straße   – das Stück, das durch die Bäume hindurch zu sehen war. Dort stand ein zerschossener Lkw und qualmte wie ein Fass Teer.
    Das Weinen, stellte ich fest, kam aus Richtung des Parkhäuschens. Die Explosion, die wir vor einem Moment gehört hatten, fand so ihre Erklärung; auch das Phänomen des fliegenden Klodeckels erwies sich wie die meisten Phänomene als banale und natürliche Erscheinung. Es hatte einfach irgendein Šaulis von der zurückweichenden Division »Plechavicius« das im Gebüsch verborgene Häuschen für einen befestigten Feuerstand gehalten und eine Kumulativladung aus dem RPG-9 hineingejagt. Das Geschoss hatte das Bauwerk schwer beschädigt und die Tür abgerissen, die mit dem internationalen Symbol einer Frau mit Rock in Habachtstellung verziert war. Der Luftstoß hatte rings um das Häuschen die Sträucher entwurzelt oder entlaubt und die Inschriften und Graffiti auf den Überresten des Gebäudes freigelegt. Und in den Überresten des Gebäudes weinte jemand   – deutlich und klagend.
    »Was machen wir?«, fragte ich.
    Truthahn überlegte. Ich wusste, was, denn ich überlegte mir dasselbe. Über dem Trichter pfiffen noch immer die Kugeln. Die Kalaschnikows, Sturmgewehre, M-16 und Galils, aus denen diese Kugeln verschossen wurden, befanden sich ziemlich weit entfernt, was bedeutete, dass die Kugeln schon langsam waren und nicht genug Kraft hatten, um einen Schenkel, eine Schulter, eine Hüfte oder einenBauch fein glatt, mit einem kleinen Loch, zu durchschlagen. Wir wussten, dass eine langsame Kugel wie ein Klumpen von feuchtem Lehm auf den Körper klatschen kann, dass sie die Stelle, wo sie aufschlägt, in einen ekelhaften Brei von Blut, Fleisch und Stofffetzen verwandeln und im Körper stecken bleiben kann oder aber   – schlimmer   – auf der anderen Seite herauskommen und einen großen Teil von dem mitnehmen, was der Mensch innen drin hat.
    Ihr seht, da gab es durchaus etwas zu überlegen.
    Beim Überlegen las ich die Inschriften auf der Wand des Häuschens. In Stresssituationen gibt es nichts Besseres als zu lesen, sage ich euch.
Books
, wie es im MTV heißt,
feed your head
.
    Auf der vom Luftstoß freigelegten Seite des Häuschens wimmelte es von Kritzeleien, die erigierte
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