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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Ingenieur bekam wenig später eine Anstellung in Ostpreußen, anschließend zog er nach Suwałki und begann in unserem Holzkombinat zu arbeiten. Das war ein sonderbarer Typ, dieser Ingenieur, der alles Polnische liebte; er soll sogar die polnische Staatsbürgerschaft beantragt haben, bekam sie aber nicht, weil er evangelisch war. Er hielt Polen für das Auserwählte Volk, das Land und die Nation mit einer Großen Historischen Mission, und überhaupt, noch ist Polen nicht verloren, hurra. Er hatte, sag ich euch, einfach einen Polen-Flitz. Darum schickte er die Tochter nach dem Umzug nach Suwałki auch auf eine polnische Schule. Justament auf unsere Schule, aufs Heilig-Geist-Gymnasium. Natürlich war die Tochter nominell Katholikin. Mit vollem Namen hieß sie Anneliese Budischewsky, aber alle nannten sie Analyse. Analyses Mutter, die ich nicht gekannt habe, starb 1996 während der Epidemie, als Rumänen die Cholera eingeschleppt hatten. Erinnert euch, damals sind an die sechzigtausend Menschen gestorben, an dieser Cholera, die man »Ceauşescu« oder »Dracula« nannte. Diejenigen aber, die damals erkrankten und überlebten, wurden scherzhaft »dupa boli« genannt, was auf Rumänisch »nach der Krankheit« heißt und nicht wie im Polnischen »der Arsch tut weh«; seither ist das eine landläufige Bezeichnung für einen Genesenden.
    Neben dem Trichter explodierte krachend eine Werfergranate. Analyse quiekte und presste sich an mich, wobeisie sich so kräftig an meinen Arm klammerte, dass ich die Erde nicht wegwischen konnte, die mir auf den Kopf geflogen war.
    »Na, na, Ania, ist ja schon gut«, sagte ich, und der Sand knirschte mir zwischen den Zähnen. Analyse schluchzte leise.
    Truthahn hatte sich die Kopfhörer meines Walkmans aufgesetzt und war in dem bunten Kabelsalat aus dem zerschossenen Telefonverteiler abgetaucht. Mit leicht herausgestreckter Zunge kramte er dort, zog an Drähten und stocherte mit dem Schraubenzieher, den er aus der Tasche gezogen hatte. Truthahn begeistert sich für Elektrotechnik, das ist sein Hobby. Er lässt dafür ein unglaubliches und angeborenes Talent erkennen. Alles kann er reparieren und zusammenbauen. Zu Hause hat er einen Kurzwellenempfänger und ein selbstgebautes Stereo-Radio. Viele Male hat er meinen Sony und meinen Kenwood repariert und verbessert. Truthahn, denke ich, könnte eine Glühlampe so in den Sand drehen, dass sie zu leuchten anfängt. Ich höre nicht auf, mich zu wundern   – ich selbst bin in Sachen Technik ein kompletter Trottel, ich kann nicht einmal eine Sicherung flicken. Darum sind Truthahn und ich auch ein Team   – er hilft mir in Mathe und Physik weiter, ich ihm in Polnisch und Geschichte. So eine kleine gegenseitige Bauernhilfe, Consulting Company Limited.
    Der Park begann wieder unter Explosionen zu erzittern, das Freikorps warf gegen die Linie der Litauer alles, was es hatte   – Granatwerfer, rückstoßfreie Geschütze, Raketen. Das Häuschen, das alle naselang getroffen wurde, war viel kleiner geworden. Rauch kroch über die Erde, floss in unseren Trichter, benahm uns den Atem.
    »Analyse?«
    »Hm?«
    »Warst du im Park, als es losging?«
    »Nein.« Sie schniefte. »Ich war auf dem Weg zur Schule, und   … da haben sie mich gegriffen   … Und in den Park geschleppt   … in die Büsche   …«
    »Gut, gut, Ania. Ist schon gut. Wein nicht. Jetzt bist du außer Gefahr.«
    Von wegen.
    Von der Westseite des Parks her begannen die MPis zu rattern, Granaten dröhnten. Von beiden Seiten her ertönten Schlachtrufe.
    »Vorwärts!!! Gott mit uns!!!«
Auf Deutsch.
    »
Lietuuuuva
!!!« Auf Litauisch.
    Das hatte gerade noch gefehlt. Beide kriegführenden Seiten waren auf denselben Gedanken gekommen, nämlich anzugreifen. Noch schlimmer, irgend so ein Nachwuchs-Guderian vom Freikorps hatte beschlossen, seinen Blitzkrieg geradezu auf unseren Trichter zu lenken, um die Šaulisse von der Flanke her zu treffen.
    Wir pressten uns an den Boden, zwängten uns wie Würmer zwischen die Steinbrocken und die Bewehrungsstähle.
    »Feuer frei!«,
brüllte jemand direkt neben dem Trichter.
»Verdammt nochmal, Feuer frei! Schieß doch, du Hurensohn!«
    Das weitere Gebrüll wurde von einem wütenden Feuerstoß auf einem M-60 übertönt   – so nahe, dass ich hörte, wie die Patronenhülsen auf den Beton prasselten. Jemand schrie, schrie entsetzlich. Nur einmal, dann verstummte er sofort. Stiefel knirschten auf dem Kies, Geschützfeuer donnerte.
    »Zurück!«,
schrie
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