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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt
Autoren: Andrzej Sapkowski
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dachte ich.
    »Und jetzt«   – ich stand auf, knöpfte die Hose auf und stieg heraus   – »zieh diesen zerrissenen Rock aus und meine Lee an. Dein Vater hat keinen Dunst, was du anhattest, als du aus dem Haus gegangen bist. Mach schon.«
    Ich drehte mich um.
    »Und was da war, vergiss«, fügte ich hinzu. »Es ist nichts dergleichen passiert, verstehst du? Das war ein Traum, Analyse. Das alles ist ein Traum, ein Albtraum, dieser Park, dieser Krieg, dieser Trichter, dieser Gestank und dieser Rauch. Und diese Leichen. Verstehst du?«
    Analyse antwortete nicht, drückte sich nur noch stärker an mich. Truthahn betrachtete uns einen Moment lang mit sonderbarem Gesichtsausdruck, dann wandte er sich wieder seinen Kabeln und Kontakten zu. Er hatte gerade das Sprechfunkgerät abgestimmt, so dass man einen lebhaften Dialog hörte, unterbrochen vom Knacken der Overs, was so klang, als ob die Gesprächspartner jede Mitteilung beendeten, indem sie sich aufs Mikrofon setzten und furzten.
    Ich überwand meine Abscheu, zog dem Šaulis die vergleichsweise wenig blutbefleckte Hose aus und sie mir an. Sie war mir zu weit, also setzte ich mich hin und begann den Drillichgürtel einzustellen. Truthahn ließ die Radiostationen in Ruhe, holte aus den Tiefen seiner Anoraktaschen ein kleines Radio und eine sonderbar aussehende Vorrichtung. Er schaltete das Radio ein   – es ertönte Kirchenmusik, was hieß, dass es irgendein polnischer Sender war. Ich hatte nichts dagegen. Die Musik war nicht laut, und aus der näheren Umgebung waren seit einiger Zeit keine Schüsse oder Schreie mehr zu hören.
    Analyse hatte sich hingehockt und wischte sich mit einem Taschentuch Gesicht und Hände ab. Truthahn verband die sonderbare Vorrichtung mit aus dem Boden ragenden Kabeln, legte das Sprechfunkgerät und die Kopfhörermeines Walkmans daneben. Er begann wieder an seinem kleinen Radio zu drehen   – man hörte Knattern und Pfeifen, Fetzen von Musik und Rauschen.
    »Hört mal«, sagte er plötzlich. »Ich hab justament Warschau reingekriegt. Da ist was im Gange. Irgendein Krawall oder sowas.«
    »Bestimmt haben sie eine Synagoge angezündet.« Ich spuckte den Sand aus, der mir zwischen den Zähnen knirschte. »Wie üblich. Wen kümmert denn sowas?«
    »Oder sie brennen die orthodoxe Kirche nieder«, warf Analyse ein. »So wie in Łódź. In Łódź haben sie die orthodoxe Kirche abgebrannt. Die, na   … sie haben es im Fernsehen gesagt. Wie hießen die doch? Aha, Cyryl Risiak und Metody Pruchno.«
    »Stimmt. Lass Warschau sein, Truthahn, hol Gdańsk oder Königsberg herein. So erfahren wir, was an der Front los ist. Ich habe es satt, in diesem Trichter zu sitzen, und Hunger habe ich wie ein Wolf.«
    »Na«, sagte Analyse. »Ich auch   …«
    »Still«, gebot Truthahn und beugte sich über das Radio. »Das ist es nicht. Es ist etwas anderes. Irgendeine Demonstration.«
    »Ich sag doch, die orthodoxe Kirche.«
    »Haben sie denn in Warschau so eine?«
    »Gestern hatten sie sie noch. Denn da hat es geregnet.«
    »Still, sag ich. Eine Demonstration ist da in Warschau, vor dem International Harvester in Ursus. Eine Menge Leute anscheinend. Oh, da redet gerade Marcin Kenig.«
    »Marcin Kenig?« Analyse zog meine Lee an sich zurecht und krempelte die Hosenbeine hoch. »Haben sie den schon aus dem Gefängnis gelassen?«
    »Du bist aber dumm, Analyse«, sagte Truthahn. »Im Gefängnis hat er noch zur Zeit der Union gesessen, aberjetzt ist er schon seit einem halben Jahr der, na ja, der Führer der Bewegung.
Capisci

    »
Si
.« Analyse nickte, doch ich wusste, dass sie schwindelte. Sie konnte nicht
capire
, weil niemand das
capisce
.
    »Mach lauter, Truthahn«, sagte ich. Denn seht ihr, es interessierte mich ein bisschen, was Marcin Kenig zu sagen hatte. In letzter Zeit wurde viel von Marcin Kenig geredet.
    »Lauter?«, fragte Truthahn. »Du willst es lauter, Jarek?«
    »Hab ich doch justament gesagt. Bist du taub?«
    »Na, dann bitte sehr.«
    Und in diesem Augenblick fing Marcin Kenig durch den ganzen Park hindurch zu brüllen an. Von überall her. Von allen Seiten. Durch den ganzen Park, durchs ganze Stadion und, wer weiß, vielleicht in der ganzen Stadt. Truthahn lachte lauthals los, sichtlich zufrieden mit sich selbst.
    »Scheiße!«,
schrie ich. »Was ist das?«
    »Die Stadionlautsprecher«, brüstete sich Truthahn. »Ich bin über den Telefonverteiler an sie rangekommen. Ich habe   …«
    »Schalt das aus, verdammt!!«
    »Du wolltest es
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