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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder
Autoren: Philipp Weber
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dem Gekeife von krampfaderngeplagten alten Schachteln ein kümmerliches Dasein fristete.
    Ich frage den Verkäufer, was so eine Stange mit Kapseln kos tet. »Zehn Kapseln ungefähr 3,50 Euro!« Ich überschlage im Kopf: Das heißt also 35 Cent pro Stück. Bei circa sechs Gramm Kaffee pro Kapsel. Das sind … Ich rufe begeistert aus: »Krass, das sind ja nur 60 Euro pro Kilo Kaffee!« Er strahlt mich an. Ironie versteht er auch nicht.
    Sind die Jungs irre? Für 60 Euro bekomme ich wilden, handverlesen Dschungelkaffee mit Öko-Premium-Siegel, der so fair gehandelt wurde, dass ein äthiopischer Kaffeesammler seine Kuh in Berlin Theaterwissenschaften studieren lassen kann. Doch eines interessiert mich noch, und ich wende mich dem Verkäufer erneut zu: »Diese Aluminiumkapseln – muss das wirklich sein?« Ich erkenne ein kurzes nervöses Zucken über der linken Augenbraue des Verkäufers. Er meint vorsichtig: »Aluminium ist das beste Material für die Aufbewahrung natürlicher Aromen!« Ich antworte energisch: »Schon, aber laut eigenen Angaben von Nespresso werden derzeit 12 300 Nespresso-Espressi pro Minute getrunken. Bei verarbeiteten 1,1 Gramm Aluminium pro Kapsel kommt man damit auf 13,5 Kilo in der Minute, 811 Kilo in der Stunde und 19 Tonnen am Tag. Man schätzt, jährlich entstehen durch Nespresso circa 6 000 Tonnen Metallabfall. Das entspricht einem Schrotthaufen, der entsteht, wenn man den Eiffelturm zer sägt!« Er sieht mich fassungslos an. Rechnen ist offensichtlich auch nicht seine Stärke.
    Ich habe gelesen, zur Gewinnung von einer Tonne Primär aluminium werden 13 000 kWh Strom und 57 m³ Wasser ge braucht. Dabei fallen jährlich Millionen Tonnen von Rotschlamm an. Dieser Stoff vergiftete im Jahr 2010 in Ungarn die Flüsse und brachte Millionen Fische zur Strecke. Ich schaue den Verkäufer scharf an: »Offensichtlich kann man von Ihrem Kaffee doch genug bekommen.« Die Stimme des Verkäufers bekommt einen leicht weinerlichen Unterton: »Aber Aluminium ist ein Stoff, der unendlich oft recycelt werden kann.« Jetzt werde ich langsam sauer: Diesen Spruch hat er aus der ausliegenden Nespresso-Broschüre mit dem fantastischen Titel »Ecolaboration«. Das Wort passt auch zu der ganzen Aufmachung des Ladens, denn auf Englisch hört sich selbst der größte Blödsinn schick an.
    »Unendlich oft recycelbar? Warum nicht gleich: Aluminium steht für totale Rückführung von Altmetall unter Aufbringung übermenschlicher Anstrengungen in den Schoß der Volksgemein schaft. Außerdem werden beim Recycling von Aluminium pro Tonne auch immerhin 800 kWh Strom verbraucht. Und das ist angesichts der Tatsache, dass normale Maschinen überhaupt kein Aluminium zum Kochen von Kaffee benötigen, doch relativ viel – oder etwa nicht? Kein Grund, auf Saubermann zu machen. Man pinkelt auch nicht in den Garten vom Nachbarn und erklärt ihm, wie glücklich er sich schätzen kann, dass Sie heute schon Stuhlgang hatten, verstehen Sie?« Tut er nicht. Metaphern als Stilmittel waren bei seiner Mitarbeiterschulung offensichtlich nicht auf dem Plan.
    Und es wird noch besser: Nespresso verspricht, bis 2013 die Menge an recyceltem Aluminium zur Produktion ihrer Kapseln auf 75 % zu verdreifachen. Das heißt also, bisher werden gerade mal 25 % recyceltes Aluminium verarbeitet. Nespresso verwendet für seine Kapseln also einen Stoff, der zwar unendlich gut zu recyceln ist, nur nicht von Nespresso.
    O. k. ich gebe zu, ich habe mich auf dieses Gespräch etwas vorbereitet. Die Stimme meines Gegenübers beginnt zu zittern: »Aber wir sind dem Dualen System angeschlossen.« Wahnsinn, das klingt, als sei der gesamte Konzern geschlossen bei Greenpeace eingetreten. »Das Alu soll einfach in den Gelben Sack gekloppt werden? Das ist natürlich ein visionäres Umweltkonzept. Hier in München gibt es wie in vielen Städten keine Gelben Säcke. Außer die Landesregierung hat sich eine schwere Hepatitis zugezogen!« Was er mit dem Wort Hepatitis anfangen kann, können Sie sich sicher denken.
    Klar, man kann das Aluminium auch in einen Sammelcontainer oder zum Wertstoffhof bringen. Das erscheint mir irre realistisch. Gerade hat eine grell geschminkte Dame mittleren Alters ihren Mercedes SLK trotz absoluten Halteverbots vor dem Geschäft geparkt und stöckelt in dunkelbraunen Pelz gehüllt ins Geschäft. Unter Wertstoffhof versteht die wahrscheinlich den Ort, wo sie ihre Diamanten gekauft bekommt, wenn ihr Göttergatte mal wieder die Chefsekretärin gebumst
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