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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder
Autoren: Philipp Weber
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für Ihren Milchschäumer aus Safttüten entwerfen? Oder ein Pinnbrett aus Weinkorken? Mit etwas Kreativität wird Abfall zur Kunst. Die Recycling-Künstlerin Katell Gélébart macht sogar Designerk eidung aus Müll: Bonduelle-Kleider, Mäntel aus Friskies-Katzenfuttertütchen oder Bomberjacken aus Barilla-Nudeltüten. Warum nicht? Bei Joghurtbechern drängt sich die Assoziation von Büstenhaltern der Körbchengröße A doch geradezu auf. Sie müssen Ihre neue Kollektion vor Gebrauch nur ordentlich waschen, denn Sie wollen schließlich mit Ihrem Aussehen für Furore sorgen, nicht mit Ihrem Geruch. Verschenken Sie Ihre Werke auch großzügig an Ihre Freunde, und vergessen Sie nicht, bei jedem Besuch enttäuscht zu rufen: »Du benutzt meinen Büroklammersammelbehälter aus bemalten Sardinendosen ja gar nicht!« Keiner wird es wagen, Ihren Müll wegzuschmeißen. Es kann natürlich sein, dass Sie nicht mehr eingeladen werden. Aber das ist es Ihnen doch wert, oder?

Der Wahnsinn hat Methode
    »Das ist unser Modell Latissima in der Farbe Mysterious Black. Mit abnehmbarem Milchbehälter, 1,2-l-Wassertank und verstellbarer Auffangschale für Latte-Macchiato-Gläser!« Jetzt bin ich doch in ein Verkaufsgespräch geraten. Vor mir steht ein adretter Anzugträger mit öligem Haar und einem siegesgewissen Lächeln. Eigentlich wollte ich mir den Laden ja nur angucken. Ich bin nämlich zufällig an einem Nespresso-Laden vorbeigekommen. Nespresso. Das ist der Kaffee, den auch George Clooney schlürft. Habe ich »Laden« gesagt? Entschuldigung, Nespresso-Boutique! Ich möchte fast sagen Nespresso-Tempel. Die Räumlichkeiten hier gleichen eher einem Juweliergeschäft. Wohin man schaut: Tropenholz, Edelmetall und Palmen. Es gibt sogar zwei Mitarbeiterinnen, die dem Kunden die Tür aufhalten. Offensichtlich wandert hier stündlich Kaffee im Wert von mehreren Millionen über die Ladentheke. Überall stapeln sich die metallisch glänzenden Nespressokapseln wie Goldbarren in Fort Knox, Wahnsinn! Es ist Montag, 10 Uhr vormittags, und es ist gerammelt voll. Dabei bin ich der einzige Kunde!? Der Rest ist Personal … Acht Angestellte, verteilt auf vier Kassen. Drei an der Nespresso-Café-Bar. Zwei vor dem Nespresso-Club-Room. Zwei im Nespresso-Club-Room. Und acht Personen an der Nespresso- Discovery-Wall. Geil, oder? Discovery Wall – genau da stehe ich. Denn da ist ein Regal mit Kaffeemaschinen. Hier wird nicht irgendein Kaffee verkauft. Hier steht die Luxusflotte der weltweit operierenden koffeinhaltigen Heißgetränke. Hier wird Kaffee nicht verkauft, sondern in Form des modernsten Designs angebetet. Die ganze Aufmachung hat etwas Sakrales. Haben Sie gewusst, dass man Mitglied beim Nespresso-Club sein muss, bevor man den Kaffee über das Internet bestellen darf? Vielleicht muss ich mir Nespresso eher als eine Art Religionsgemeinschaft vorstellen? Wie Scientology? Wo man sich in der Hierarchie langsam hochtrinken muss: Vom einfachen Kaffee-Adepten über den Hüter des heiligen Zuckerlöffels bis hin zum Hohepriester der Entkoffeinierung.
    Der Verkäufer rezitiert die Angebotspalette in Form einer italienischen Arie: »Wir haben drei Lungo-Sorten: Fortissio Lungo, Vivalto Lungo und Finezzo Lungo. Und zehn Espressi: Arpeggio, Roma, Livanto, Capriccio, Volluto, Cosi, Indriya, Rosa baya, Dulsao und Ristretto.« Ich stutze: »Was, der Kaffee heißt Rosetto? Das klingt aber nicht so lecker!« Der Mann verbessert mich geduldig. »Ristretto! Einer der beliebtesten Grands Crus.« Er sagt lässig Grands Crus wie ein Sommelier, der Jahrzehnte im Bordeaux gekellnert hat. Ich antworte: »Super, haben Sie auch einen schönen Schonkaffee Spätlese aus dem Rheingau? Oder ein 1974er Mokka de Pomerol?« Ich schaue in sein ausdrucksloses Gesicht. Diesen Witz hat er nicht verstanden.
    Nestlé kam als Erster auf die Idee mit dem portionierten Kaffee – in den Achtzigern. Da war aber die Zeit noch nicht reif, es regierten die Ökos. Wenn da ein Schweizer Großkonzern einen Laden mit Teakholztheke in Deutschland aufgemacht hätte, wäre er von Umweltaktivisten in die Luft gesprengt worden. Heute ist das Geschäft mit den Kapseln ein Milliardengeschäft. Klar, portionierter Kaffee passt super in unseren modernen Lifestyle: Der kurze Coffee-Shot für den trendigen Großstadt-Single zwischen Business-Meeting und After-Work-Party. Nespresso hat den Kaffee aus dem Joch des Kaffeekränzchens befreit, wo er eingekerkert in Rosenthal-Tassen auf Spitzendeckchen unter
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