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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder
Autoren: Philipp Weber
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sein Werbeversprechen in die Tat umsetzt, schließlich sagt er stets, Milky Way sei »besonders luftig«. Bei »Nimm 2 Lolly« war gerade mal ein Zehntel des Artikels wirklich die versprochene Süßigkeit. Da sagen wir laut: »Danke, du kinderfreundliches Unternehmen!« Schließlich bedeuten 90 Prozent weniger Inhalt 90 Prozent weniger Karies.
    Es ist schon absurd, wie unsere Nahrungsmittel heute unter Bergen von Kunststoff vermummt, verhüllt, verschleiert und versteckt werden. Von den 250 kg Hausmüll, die der Durchschnittsdeutsche pro Jahr produziert, sind 70 kg Verpackungsmaterialien, wie Papier, Pappe, Glas, Kunststoffe und Metalle, die bereits nach einmaligem Gebrauch nutzlos sind und entsorgt werden müssen. Bei 82 Millionen Einwohnern wären das 5,7 Millionen Tonnen. Und der größte Teil dieses riesigen Abfallhaufens entsteht allein durch unsere Nahrungsmittel. Alles wird doppelt verpackt, dreifach verschweißt und vierfach kartoniert. Jedes kleinste Minzbonbon bekommt sein eigenes Wachspapiermäntelchen. Zehn kleine Bonbons landen in einem bunten Plastiktütchen. Zehn Plastiktütchen stecken in einer Kombibox aus Weißblech. Zehn Blechdosen werden in eine große Schachtel gesteckt. Zehn Schachteln kommen in einen riesigen Karton. Zehn riesige Kartons werden in 50 Meter Plastikfolie eingewickelt, damit dieser babylonische Turm aus Minzbonbons bei seiner holprigen Reise über die Landstraßen Osteuropas nicht auseinanderfällt.
    Der Klassiker der modernen Verpackungskunst ist natürlich Caprisonne. Dieses Getränk kam in den frühen Achtzigern groß in Mode. Noch heute befällt mich tiefe Scham, wenn ich daran denke, wie ich dieses Zeug in meiner Kindheit aus dem orangefarbenen Strohhalm saugte. In einer Zeit, als sich die Umweltschutzbewegung in Deutschland formierte, stiegen meine Altersgenossen und ich von Glasflaschen auf aluminiumbeschichtete Plastikbeutel um. Aluminium und Kunststoff – zwei hässliche Verpackungsgeschwister! Das eine verrostet nicht – das andere verrottet nicht. Wenn in Millionen von Jahren die Pyramiden zu Staub zerfallen sind, werden immer noch silberne Plastiktütchen mit aufgedruckten Orangen über unsere kahle Erde treiben.
    Das Outfit ist alles
    Aber der Supermarkt ist nur ein Spiegel unserer Gesellschaft. Da ist das Outfit nun mal wichtiger als der Inhalt. Wir kaufen auch keine Waren im klassischen Sinne mehr, wie zum Beispiel ein Pfund Kaffee, eine Flasche Bier, eine Tafel Schokolade und so wei ter. Wir kaufen Marken: »Ein Pfund Tchibo, eine Flasche Beck’s, eine Tafel Ritter Sport …« Das ist ein großer Unterschied. Diese Produkte haben ein ganz bestimmtes Image und vermitteln dadurch ein besonderes Lebensgefühl.
    Wenn sich Heidi Klum in der Haribo-Werbung auf dem Bett lümmelt und Gummibärchen in den Mund schiebt, die sie sich vorher aus irgendeinem absurden Grund zwischen die Zehen gesteckt hat, dann sagen wir nicht: »Igitt, die Frau ist fies!« Nein, wir denken: »Wow, sexy! Frau Klum weiß das Leben und Süßigkeiten zu genießen.« Hingegen wenn ich mir im Schlafzimmer gelierten Industriezucker aus den Käselatschen pople, hält mich meine Freundin für pervers!
    Die Heilsversprechen der Werbung werden ganz entscheidend über die Verpackung vermittelt. Schließlich kann man das Bild von der strahlenden Blondine vor der Windmühle in idyllischer Landschaft schlecht direkt auf den Gouda drucken. So schafft die Hülle den eigentlichen Wert einer Ware. Oft bedeutet allein die Tatsache, dass ein Produkt überhaupt verpackt wird, eine unglaubliche Gewinnsteigerung. Ein Beispiel wäre unser tägliches Wasser: Auch wenn Wasser im Wörterbuch eher unspektakulär als »klare, geruchslose, farblose und geschmacksneutrale Flüssigkeit« beschrieben wird, ist es dennoch ein todschickes Lifestyleprodukt. Es gibt richtige Edelwässer. Neulich war ich zu Besuch in einem sehr feinen Restaurant in Berlin, da stand plötzlich ein eleganter Herr neben mir, der sich als der »Wassersommelier« vorstellte: »Für die Trüffelcremesuppe empfehle ich ein Glas ›Cave H2O‹, ein leicht süßliches Wasser aus dem Weserbergland«, begann der Fachmann seinen Vortrag. »Das Ragout vom tomatisierten Wildschwein verlangt eher nach einem kräftigen Wasser mit einer schönen Kohlensäure, zum Beispiel ›Bling aus Tennessee‹. Und für die Trilogie von der Brombeere würde eine Flasche ›Fiji-Wasser‹ die nötige Exotik ins Spiel bringen. Doch selbstverständlich können Sie Ihr Wasser
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