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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Michel de Montaigne
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dieses Weltall ist nichts hineingelegt, das nicht an seinem rechten Platze stehe. Unser Wesen ist aus kränklichen Eigenschaften zusammengesetzt; Ehrgeiz, Eifersucht, Neid, Rachbegier, Aberglaube, Verzweiflung wohnen uns bei und haben uns in einem so natürlichen Besitze, daß das Bild davon sich sogar an den Tieren wahrnehmen läßt; ja selbst die Grausamkeit, welche ein so unnatürliches Laster ist; denn bei allem unsern Mitleiden fühlen wir doch innerlich eine gewisse sauersüße Empfindung von boshafter Wollust, wenn wir andere neben uns leiden sehen; selbst Kinder fühlen sie:
     
    Suave mari magno, turbantibus aequora ventis,
    E terra magnum alterius spectare laborem. 2
     
    Und wer den Samen dieser Eigenschaften im Menschen ausrotten wollte, würde die Hauptbedingungen unseres Lebens stören. Ebenso gibt es in allen bürgerlichen Einrichtungen notwendige Ämter, die nicht nur niedrig, sondern sogar widrig sind. Diese Widrigkeiten spielen darin ihre Rolle, und man bedient sich ihrer als Räte in unserer Verbindung, wie man sich des Gifts zur Erhaltung unserer Gesundheit bedient. Wenn sie dadurch Entschuldigung verdienen, weil sie nötig werden, und das Bedürfnis des gemeinen Wesens ihre wahre Eigenschaft vertilgt, so muß man diese Rollen von stärkeren und weniger furchtsamen Bürgern ausführen lassen, welche ihre Ehre und ihr Gewissen aufopfern, wie jene Männer des Altertums ihr Leben fürs Heil ihres Vaterlandes aufopferten; wir andern, Schwächern übernehmen gern solche Rollen, die leichter und mit weniger Gefahr verbunden sind. Das öffentliche Wohl verlangt, daß man verrate, daß man lüge und daß man metzele. Solche Aufträge wollen wir gehorsameren und geschmeidigeren Leuten überlassen.
    Wahrhaftig! Ich habe oft meinen eigenen Ärger darüber gehabt, wenn ich so gesehen, daß Richter durch List oder vorgespiegelte Hoffnung von Gnade und Verzeihung den Verbrecher verleiteten, seine Tat zu bekennen, und dabei allerlei unverschämte Tücke anwendeten. Es würde der Gerechtigkeitspflege zum Vorteil gereichen und selbst dem Plato, der diesen Gebrauch begünstigt, wenn sie mir andere Mittel, die mehr nach meinem Sinne wären, an die Hand geben wollten. Es ist eine hämische Gerechtigkeit, und nach meiner Meinung wird sie durch sich selbst ebensowohl beleidigt als durch andere. Ich antwortete noch vor kurzem, daß ich kaum einen Prinzen eines Privatmanns wegen verraten möchte, dem es sehr leid tun würde, irgendeinen Privatmann eines Prinzen wegen zu verraten, und ich hasse nicht nur alle Betrügereien überhaupt, sondern ich hasse es auch, daß man sich in mir betrüge, und mag dazu nicht einmal weder Stoff noch Anlaß geben.
    Bei demjenigen, was ich bei den Parteien und Unterparteien, die uns jetzt zerreißen, unter unsern Prinzen zu verhandeln gehabt habe, nahm ich keine Larve vor und trachtete sorgfältig zu vermeiden, daß sie mich nicht mißverstanden. Die diplomatischen Männer halten sich immer sehr zugeknöpft und stellen sich jederzeit so nachgebend und der Vereinigung so nahe als möglich; ich äußere immer meine Meinung aufs lebhafteste und auf eine mir ganz eigene Art, als gewissenhafter Unterhändler und als ein Neuling, der lieber seinem Geschäft als sich selbst zu nahe treten mag. Unterdessen geschah es bis auf diese Stunde mit solchem Glück (denn das Glück hat dabei den größten Anteil), daß wenige Verhandlungen mit geringerem Verdacht, mit mehr Leichtigkeit und größerer Verschwiegenheit von einer Hand in die andere gegangen sind. Ich habe eine offenherzige Weise, der es leicht wird, Beifall zu finden und sich gleich bei der ersten Bekanntschaft Glauben zu erwerben. Treuherzigkeit und reine Wahrheit fanden zu jederzeit und finden noch ihren Ort und ihre Gelegenheit, wo sie wohl angebracht sind. Dabei ist auch die Freimütigkeit solcher Menschen, welche dergleichen Geschäfte ohne allen eigenen Vorteil besorgen, wenig verdächtig und gehässig, und können solche nach aller Wahrheit die Antwort anwenden, welche Hyperides den Atheniensern gab, als sich solche über den hohen Ton seiner Sprache beschwerten: "Meine Herren, achten sie nicht darauf, ob ich frei rede, sondern darauf, ob ich es tue, ohne etwas zu nehmen und ohne dadurch meine Umstände im geringsten zu verbessern." Meine Freimütigkeit hat mich auch leicht aus allem Verdacht der Verstellung gesetzt, weil sie nachdrücklich war (denn ich sagte alles frei heraus, es mochte noch so derbe, noch so treffend sein, ich
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