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ESCORTER (German Edition)

ESCORTER (German Edition)

Titel: ESCORTER (German Edition)
Autoren: Christine Millman
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Glashaus.
    Kaltes Licht drang aus der Küche, die Neonröhre an der Decke brannte. Kaffeeduft erfüllte den Raum.
    »Ophelia?«, fragte sie wieder.
    Die alte Haushälterin stand neben der Spüle und goss Wasser aus einem Edelstahlwasserkocher in einen Handfilter, der auf einer Edelstahlwarmhaltekanne lag. Ihre Mutter liebte dieses Material. Glas und Edelstahl fanden sich im gesamten Haus.
    »Guten Morgen«, grüßte Doreé laut und deutlich. »Du bist aber früh.«
    Ophelia zuckte zusammen und fuhr herum. Der Kaffee aus dem Handfilter schwappte über den Rand. Nasses Kaffeepulver und Brühe rannen über die Kanne auf die anthrazitfarbene Granitarbeitsfläche. Als sie Doreé erblickte, atmete sie auf.
    »Ah, du Dorii«, sagte sie in ihrer typischen nuschelnden Art. Sie war nicht nur schwerhörig, auch stand ihr Mund immer ein wenig offen und die Unterlippe ragte hervor wie eine Regenrinne, was sie beim Sprechen behinderte. Durch ihre geringe Größe und den leicht vornüber gebeugten Gang wirkte sie wie eine Mischung aus Neandertaler und Zwerg.
    »Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken«, erwiderte Doreé. »Warum bist du heute so früh?«
    Ophelia rang sich ein Lächeln ab, entblößte eine lückenhafte Zahnreihe. Mehrere schwarze Haare sprossen aus ihrem Kinn, die durch das Neonlicht wie kleine Stacheln wirkten. Doreé hatte sich an Ophelias Anblick gewöhnt, nur in Momenten wie diesem wurde ihr bewusst, wie seltsam die alte Haushälterin aussah.
    »Herrin is nich nach Haus komme«, sagte sie.
    Doreé zuckte mit den Schultern. »Meine Mutter ist erwachsen und kann tun, was sie will.«
    »Aba sie muss nach Haus komme, Dorii. Sie muss.«
    Doreé trat auf sie zu und legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. Die Haushälterin verströmte einen erdigen Duft, der sie an ihre Kindheit erinnerte, an die Tränen, die sie in ihren Armen vergossen hatte, weil ihre Mutter keine Zeit oder keine Lust gehabt hatte, sich mit ihrer Tochter zu befassen. An die Gute-Nacht-Geschichten, die sie ihr erzählt hatte, vernuschelt und kaum zu verstehen. Ophelia verehrte ihre Mutter, stand bei allem, was sie tat, loyal hinter ihr – eine Tatsache, die Doreé bis heute unverständlich war. Denn Desoderia Lakatos behandelte die Haushälterin wie eine Leibeigene. Sie bedankte sich nie, bellte ihr Befehle zu wie einem Hund und sah sie nicht mal dann an, wenn sie neben ihr stand, um ihr das tägliche Glas Wodkaorange zu reichen.
    »Sie kommt häufig erst im Morgengrauen zurück, das weißt du doch. Wie oft hast du mich gehütet, während Mama ihren nächtlichen Aktivitäten nachgegangen ist?« Es gelang Doreé kaum, die Verbitterung hinter ihren Worten zu verbergen.
    Ophelia blickte flehend zu ihr auf.
    »Ich weis net wo Herrin is.«
    »Ich auch nicht. Vielleicht hat sie im Büro übernachtet, weil sie so lange gearbeitet hat. Vielleicht hat sie auch jemanden kennengelernt.« Der Gedanke entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Nicht ein einziges Mal seit dem Verschwinden ihres Vaters zehn Jahre zuvor hatte ihre Mutter von einem anderen Mann erzählt, geschweige denn einen mit nach Hause gebracht. An fehlenden Angeboten kann es nicht gelegen haben. Ihre Mutter war überaus attraktiv, mit kurzem, blondem Haar, Porzellanhaut und einem Körper wie ein Model aus einem Hochglanzmagazin. Doreé horchte in sich hinein, suchte nach der Sorge um die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, fand jedoch nichts als eine nagende Unruhe, die wohl eher von ihrem schlechten Gewissen herrührte als von Sorge.
    »Mama ist weder hilflos noch schwach«, fuhr sie schnell fort, »im Gegenteil. Ich kenne niemanden, der auch nur halb so willensstark und einschüchternd ist wie sie. Mach dich nicht verrückt, Ophelia, sie wird sicher bald nach Hause kommen.«
    Ophelia wischte die Hände an ihrer blau-rosa geblümten Kittelschürze ab, stieß einen brummigen Laut aus und wandte sich wieder dem Kaffeefilter zu. Doreé reichte ihr ein Mikrofasertuch von der Spüle. Die Haushälterin nahm es und begann, den verschütteten Kaffee aufzuwischen. Ihre zitternde Unterlippe glänzte feucht. Mit einem schlürfenden Laut sog sie den Speichel, der sich dort gesammelt hatte, zurück und schluckte. »Will du Kaffee?«
    Doreé nickte und nahm schnell eine Tasse aus dem Schrank, bevor Ophelia es tun konnte. Weißes, schnörkelloses Porzellan, wie alles Geschirr in der Küche. Ihre Mutter mochte keine bunten Farben.
    Obwohl Ophelia nichts mehr über ihre Sorge verlauten ließ,
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