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ESCORTER (German Edition)

ESCORTER (German Edition)

Titel: ESCORTER (German Edition)
Autoren: Christine Millman
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Membran, schob seine Schnauze hindurch, bis er das Gefühl hatte, von innen heraus zu verglühen.
    So nah war sie ihm, so nah.
    Hätte er Hände, er bräuchte sie nur auszustrecken, um sie zu berühren.
    Bald sind wir eins , wisperte er. Gemeinsam werden wir die Welt regieren.
     
     
    * * *
     
     
    Doreé schreckte auf. Ihr Herz raste. Sie wagte nicht, sich zu rühren aus Angst, das Grauen aus ihrem Traum könnte sie bis in ihr Zimmer verfolgt haben. Deutlich hatte sie die Kreatur vor Augen. Ein riesiger, schwarzer Hengst mit rot glühenden Augen und prachtvollen Schwingen, der sie über graue, aschebedeckten Straßen jagte. Zwischen unbewohnten Häuserschluchten hindurch, deren Fenster auf sie herabstarrten wie die Augen eines Toten, leer und unbeweglich. Sein Leib warf lange Schatten voraus, die das Zwielicht verschlangen, und es war schrecklich kalt. Immer näher kam er ihr. So nah, dass sie den Gestank seiner Verderbtheit riechen und den Luftzug seiner Schwingen spüren konnte. Sein Schatten hüllte sie ein wie ein eisiges, finsteres Nichts. Selbst jetzt, Minuten nach ihrem Erwachen, erschien es ihr, als würde der riesige, schwarze Kopf noch in ihrem Zimmer schweben und flüstern. Bald sind wir eins.
    Sie blinzelte, versuchte, das Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben, ihren Atem und den aufgeregten Herzschlag zu beruhigen. Eine Panikattacke war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
    Einatmen. Ausatmen. Es war nur ein Traum, Doreé. Nur ein Traum.
    Das T-Shirt klebte an ihrer Haut und sie spürte, wie der Schweiß ihren Nacken hinab rann, als wäre sie tatsächlich durch dunkle Straßen gerannt, auf der Flucht vor einem unsichtbaren Feind.
    Bald sind wir eins.
    Sie drehte den Kopf und wagte einen Blick zum Fenster. Das grelle Licht des Flutscheinwerfers, den der Nachbar zum Schutz seines Anwesens installiert hatte, strahlte in ihr Zimmer. Irgendetwas oder irgendjemand musste den Bewegungsmelder ausgelöst haben. Zum ersten Mal war sie froh über das blöde Ding. Am Horizont kroch der Morgen herauf. Ihr Blick fiel auf den Wecker. Halb fünf. Sollte sie aufstehen? Es war Wochenende, sie hatte heute frei und könnte ausschlafen. Sie überlegte, ihre Freundin Betty anzurufen. Sie war die Einzige, die von ihren Albträumen und den Panikattacken wusste und ihr trotzdem nie das Gefühl gab, eine Verrückte zu sein. Im Gegenteil. Bettys trockener Humor heiterte sie regelmäßig auf.
    Doch ihre Freundin befand sich auf Rucksacktour durch Indien und war nur selten zu erreichen. Kurz überschlug sie die Zeitdifferenz. Dreieinhalb Stunden, also war es in Indien acht Uhr. Bestimmt schlief Betty noch. Sie seufzte. Seit der Abreise ihrer Freundin fühlte sie sich einsamer als je zuvor.
    Nachdem sich ihr Herzschlag ein wenig beruhigt hatte, schob sie langsam die Decke zurück, kämpfte gegen die Angst, die noch immer ihre Glieder lähmte. Köstliche, frische Luft strich über ihre Haut. Sie atmete hörbar auf, genoss die Abkühlung.
    Aus dem Erdgeschoss drangen leise Geräusche zu ihr hinauf. Schritte, eine Schranktür, das Klappern von Geschirr. War Ophelia etwa schon da? Der Gedanke hatte etwas Beruhigendes.
    Sie streifte die Bettdecke vollends ab, zwang ihre Beine über die Bettkante und erhob sich. Vorsichtig schlich sie zur Tür, wich dabei der willkürlichen Ansammlung von Kleidungsstücken, Schuhen, leeren Tellern und Videospielen aus, die am Boden verstreut lag. So leise wie möglich öffnete sie und lauschte. In der Küche lief Wasser, etwas wurde klirrend auf die Arbeitsfläche gestellt.
    Beherzt trat sie in den Gang hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter stand offen. Kein Licht brannte. War sie etwa nicht zuhause?
    »Ophelia?«, rief Doreé, während sie die gläserne Wendeltreppe in den offenen Wohnbereich hinab stieg. Ihre schweißnassen Füße rutschten über die glatte Fläche und sie krallte sich an den Stahlseilen fest, die als Geländer dienten, um nicht zu stürzen.
    Sie brauchte kein Licht. Der anbrechende Morgen, gepaart mit dem Licht des Flutscheinwerfers, das durch die riesigen Fensterfronten drang, spendete ausreichend Helligkeit.
    Dunkle Möbel, schlicht und elegant, bestimmten den Wohnbereich, der türlos in den Flur und die Küche mündete. Jedes Möbelstück stand dort, wo es ein Innenarchitekt platziert hatte. Jede Pflanze, jedes Accessoire, jedes Bild trug zu dem perfekt harmonischen Gesamteindruck bei. Und alles war sauber, fast schon steril. Mehr Ausstellungshaus als ein Heim. Ein
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