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ESCORTER (German Edition)

ESCORTER (German Edition)

Titel: ESCORTER (German Edition)
Autoren: Christine Millman
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Fenster. Sie stellte ihm das Essen hin, trat auf das Bild zu und betrachtete es eingehend.
    »Es ist fantastisch«, lobte sie. »Diese fließenden Übergänge und wie geschickt du ihr Gesicht aus der Dunkelheit herausgearbeitet hast.«
    Das Kompliment freute ihn und er zeigte es durch ein winziges Lächeln, das seine Mundwinkel kräuselte.
    »Sie ist so hübsch und sie ähnelt dir. Sehr sogar. Kennst du sie?«, wollte Irina nun wissen.
    Die Frage verwirrte ihn. Seit er denken konnte, malte er das Mädchen mit den langen, blonden Haaren. Niemals war sie älter oder jünger als er. Sie wuchs mit ihm heran, als wäre sie ein Teil von ihm, wie die Dämonen, die er ebenfalls malte, weil sie sich in seinen Kopf zwängten, ihn um den Schlaf brachten mit ihren Fratzen.
    Trotz Irinas Neugier fühlte er sich nicht zu einer Reaktion gedrängt. Ihr Feingefühl – noch etwas, das er an ihr mochte.
    Sie schloss die Warmhaltebox und nahm sie hoch. »Ich muss weiter«, sagte sie schon halb an der Tür. »Ich wünsche dir einen guten Appetit. Morgen sehen wir uns nicht, da hab ich frei, aber übermorgen bin ich wieder da. Vielleicht hab ich dann sogar Zeit für ein Pläuschchen.«
    Gerne hätte er ihr geantwortet, hätte ihr gesagt, dass er sich darauf freute, doch der Braten forderte seine Aufmerksamkeit. Er musste ihn essen, bevor er erkaltete.
    Wahrscheinlich erwartete Irina sowieso keine Antwort von ihm – hatte, wenn er sich recht erinnerte, noch nie eine von ihm bekommen. Mit einem Bis dann , Jakob verließ sie die Wohnung.
    Während er aß, wanderte sein Blick immer wieder zu seinem neusten Werk. Es zeigte dasselbe wie die Bilder, die er davor gemalt hatte, und doch war es anders. Er versuchte, den Grund dafür zu erfassen. Lag es an der Farbgebung? Hatte er die Pinselführung geändert? Nein, das war es nicht.
    Doch was war es dann?
    Irina hatte das blonde Mädchen bewundert, die perfekte Verschmelzung mit der Dunkelheit, aber sie hatte nicht gesehen, was sich hinter der Dunkelheit verbarg. Die Schwärze war nicht starr, sie blieb in Bewegung. Kaum wahrnehmbare Schattierungen von Grau und Schwarz bildeten etwas Neues, eine unfertige Gestalt. Wer direkt davor stand, konnte das nicht erkennen, doch etwas weiter entfernt offenbarte sich ein Stück des Geheimnisses.
    Die junge Frau auf dem Bild war nicht allein.
     

 
     
     
     
4
     
    Doreé ging gerne in der Hasenheide spazieren. Sie liebte den Multikulti-Flair, die exotischen Gerüche und die Menschen, die in den unterschiedlichsten Sprachen redeten und unter denen sie sich nicht so sehr wie eine Außenseiterin fühlte. Oder den Hauch von Gefahr, den sie verspürte, wenn sie den versteckten Pfaden der Drogendealer folgte. Es war eine regelrechte Leidenschaft geworden, die Schleichwege ausfindig zu machen und zu schauen, wo sie endeten. Meistens in einem Loch im Maschendrahtzaun vor dem leere Tütchen lagen, manchmal fand sie auch eine Spritze. Zeichen für den allgegenwärtigen Drogenverkauf. Üblicherweise ging sie allein nach Neukölln als stilles Aufbegehren gegen die Gleichgültigkeit ihrer Mutter. An diesem Tag jedoch hatte sie zum ersten Mal ein Ziel. Die Aussichtsplattform am See, wo sie sich mit David treffen würde. Gedankenverloren hakte sie ihre Daumen in die Jeanstaschen und kickte eine leere Tüte zur Seite, die der Wind über die Wiese bis vor ihre Füße getragen hatte. Sie freute sich auf David. Er hatte etwas an sich, dass sie anzog. Geschmacklose Kleidung und kein Geld würde ihre Mutter sagen und ihr unterstellen, sich absichtlich die Verlierertypen auszusuchen, nur um sie zu ärgern. Normalerweise war da etwas Wahres dran, doch in Davids Fall lag die Sache anders. Sein Lächeln, das sein ansonsten eher kantiges Gesicht rundete, und die Art, wie er sprach mit dem fast unmerklichen Akzent, zogen sie an.
    »Schöne Frau«, rief ein junger Afrikaner, der zusammen mit einem Kumpel zwischen den Büschen am Wegrand stand. »Komma her.«
    Doreé blickte nicht auf, doch konnte sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sie mochte die Tonfarbe seiner Stimme, die Art, wie er die Worte über die Zunge rollte, tief und zugleich weich, und die scheinbare Unbeschwertheit, mit der er vorbeikommende Frauen mit Komplimenten überschüttete. »Schöne Frau mit de goldene Haar. Komma her«, rief nun der andere.
    Doreé hob abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. Fast immer war ihr Haar Gegenstand des Interesses. Es fiel auf wegen der Länge und wegen der Farbe.
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