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Es wird Dich rufen (German Edition)

Es wird Dich rufen (German Edition)

Titel: Es wird Dich rufen (German Edition)
Autoren: Simon Cross
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dem er Nadine das letzte Mal gesehen hatte, wollte ihm dies nicht mehr so recht gelingen.
    Seitdem kreisten seine Gedanken nur um diese eine quälende Frage: Warum nur hatte sie ihm den Rücken zugekehrt? Er ahnte, dass er darauf vielleicht niemals eine Antwort erhalten würde.
    Langsam wanderte der Redakteur in seinem Büro auf und ab.
    Mehrere Male blieb er dabei gedankenverloren vor der großen Fensterfront stehen und starrte auf die Menschen hinunter, die zu Hunderten in dem dicht besiedelten Industriegebiet auf dem Weg zur Arbeit waren. Den einen oder anderen kannte er sogar – es waren Mitarbeiter des »Komet«.
    »Guten Morgen«, grüßte ihn plötzlich eine weibliche Stimme.
    Der Redakteur drehte sich um. Sonja, seine Sekretärin, hatte soeben das Zimmer betreten.
    Mike sah auf die Uhr und schüttelte ungläubig den Kopf. Seit seiner Ankunft war tatsächlich fast eine Stunde vergangen.
    »Guten Morgen«, grüßte er betont geschäftig zurück. »Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
    Die Sekretärin sah ihn prüfend an. Ihr war natürlich nicht entgangen, was Mike seit einiger Zeit durchmachte. Sie empfand Mitleid mit ihm.
    »Sie müssen sie vergessen«, sagte sie mit fürsorglicher Stimme. »Sie können sich doch nicht Ihr gesamtes Leben verbauen, nur weil Ihre Freundin nicht mehr da ist.«
    »Ich weiß.« Mike seufzte. Dann ging er zum Schreibtisch und ließ sich auf seinen schwarzen Bürostuhl nieder.
    Der Lederbezug knarrte ein wenig, als Mike es sich bequem machte. »Soll ich Ihnen einen Kaffee bringen?«, fragte ihn seine Sekretärin. »Gerne.«
    Als habe er nichts Besseres zu tun, folgte Mike ihr bis zur Tür und schaute ihr nach, bis sie in der redaktionseigenen Küche verschwand.
    Während er am Türrahmen lehnte und um die notwendige Disziplin rang, die er zur Ausübung seines Berufes benötigte, an der es ihm aber derzeit mangelte, hörte er plötzlich eine aufgebrachte, ihm vertraute Stimme vom anderen Ende des Ganges: »Dornbach! Einen Moment!«
    Es war kein geringerer als Walter Stein, der mit schnellen Schritten auf Mike zueilte. In seiner Hand hielt er eine Zeitung, mit der er aufgeregt hin- und herfuchtelte.
    Mike wunderte sich über den förmlichen Ton.
    Warum hatte Stein ihn bei seinem Nachnamen gerufen? Immerhin hatten sie doch schon vor langer Zeit Brüderschaft getrunken.
    Dafür konnte es eigentlich nur einen Grund geben.
    Nur ein einziges Mal hatte er erlebt, dass Stein ihn, statt mit dem vertrauten »Du«, mit einem förmlichen »Dornbach« angesprochen hatte. Damals war Mike ein dummer Fehler unterlaufen, der große Kreise gezogen hatte. Versehentlich hatte er einen Namen vertauscht und damit ungewollt einen hohen Staatsbeamten öffentlich zum Betrüger erklärt. Stein hatte damals die alleinige Verantwortung übernommen.
    Es war das erste und bislang einzige Mal gewesen, dass Mike seinen Vorgesetzten laut schreiend und fluchend erlebt hatte. Letztlich hatte der Chefredakteur ihm das Missgeschick aber verziehen. »Wir machen alle mal Fehler«, hatte Stein damals gesagt, nachdem er Mike gehörig die Leviten gelesen hatte.
    Wie ein kleinlautes Bürschchen, das beim Kirschenstehlen in Nachbars Garten erwischt worden war, hatte Mike die Kritik hingenommen. Und er hatte daraus gelernt. Bis heute war ihm kein einziger Fauxpas mehr unterlaufen.
    So aufgeregt, wie Walter Stein ihm nun entgegenkam, ahnte er jedoch Schlimmes.
    Stein hatte sich Mike bis auf wenige Schritte genähert und blickte ihn schnaufend an. In solchen Momenten rächte es sich, dass der Chefredakteur alles andere als ein Kostverächter war, sondern sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als einen stressigen Bürotag bei einem zünftigen Menü in einem der hiesigen Restaurants ausklingen zu lassen.
    Die Kollegen schätzten ihren Chefredakteur auf gut und gerne hundertvierzig Kilo Körpergewicht. Ein gestandenes Mannsbild also. Wer sich mit ihm auf Diskussionen einließ, musste damit rechnen, als Verlierer aus einer solchen hervorzugehen.
    »Mensch, Dornbach!«, fluchte Stein.
    »Was ist passiert?«, fragte Mike verunsichert.
    »Was passiert ist?«, gab Stein verärgert zurück. »Lass uns das bitte in deinem Büro besprechen. Es muss ja nicht jeder mitkriegen!«
    Mike nickte. »Bitte, komm rein!«
    Walter Stein war, ohne eine Sekunde seiner wertvollen Zeit verlieren zu wollen, Mikes Aufforderung gefolgt und an seinen Schreibtisch geeilt, um dort sofort die Zeitung, die er eben noch in der Hand gehalten hatte,
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