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Es wird Dich rufen (German Edition)

Es wird Dich rufen (German Edition)

Titel: Es wird Dich rufen (German Edition)
Autoren: Simon Cross
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reden, fühlte sich aber von einer ihr fremden Furcht zurückgehalten, die sie geradezu übermannte. Die schwierige Entscheidung, die zu treffen sie sich nicht in der Lage sah, wurde ihr jedoch abgenommen, denn von innen öffnete sich plötzlich die Tür.
    »Marie?«, rief der Abbé überrascht, als er sie beinahe umgestoßen hatte, nachdem er schwer atmend aus dem Zimmer geeilt war. »Was um Himmels Willen tust du hier?«
    »Ich …, ich …, ich wollte fragen, ob du einen Tee möchtest«, stammelte sie. »Ich habe gerade einen aufgesetzt.«
    Saunière fiel die ungewohnte Unsicherheit in Maries Stimme natürlich sofort auf. Lügen war noch nie ihre Stärke gewesen.
    »Was ist los mit dir?«, wollte er wissen. »Was hast du?«
    Marie zögerte. Saunières Blick fiel auf das Amulett um ihren Hals. »Schau an! Was haben wir denn da?«
    Er griff nach dem Medaillon und sah es sich an, dann schüttelte er verächtlich den Kopf.
    »Ich verstehe!«, rief er aufgebracht. »Ich verstehe!«
    Schnellen Schrittes eilte er zurück in sein Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch und notierte etwas auf ein Blatt Papier.
    Marie blieb derweil unbewegt an der offenen Türe stehen.
    Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Saunière sie mehr oder minder schroff in den Raum bat, doch Marie kam die kurze Zeitspanne schier unendlich vor. Ihr Herz pochte wild.
    Sie spürte, wie eine undefinierbare Angst vor dem Mann, den sie bis vor wenigen Minuten noch geliebt hatte, mehr und mehr ihr Handeln beeinflusste, wie sie innerlich verkrampfte und doch bemüht war, sich nichts davon anmerken zu lassen. Nur zögerlich setzte sie einen Fuß vor den anderen, ehe sie schließlich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz nahm.
    Der Abbé lehnte sich entspannt zurück. Er schien sich nach seinem kurzen Wutanfall wieder beruhigt zu haben.
    Marie kannte diese Stimmungsschwankungen. Mitunter lagen bei ihm zwischen tiefstem Hass und herzlichster Zuneigung nur wenige Augenblicke. Seine unerklärlichen cholerischen Anfälle waren zwar gewöhnungsbedürftig, aber sie hatte gelernt, mit ihnen umzugehen.
    »Wo hast du das her?«, fragte er.
    Mit einer Mischung aus Hilflosigkeit, Mitleid und Trauer sah Marie den Priester an. Dann drückte sie das Amulett fest an ihre Brust und fasste einen Entschluss – egal, wie riskant, unnötig oder falsch dieser auch sein mochte. Es war die Kraft des Amuletts, die ihr zu verstehen gab, dass sie das Richtige tat:
    »Ich habe es von den Bewahrern des Lichts bekommen«, antwortete sie. Es war ihr in diesem Augenblick egal, was die beiden Botschafter später von ihr denken würden, ob sie ihr Vertrauen als unentschuldbar missbraucht ansehen oder ihr das ausgebliebene Schweigen vergeben würden. Sie respektierte den Priester nach wie vor und schuldete ihm – trotz allem – noch immer das Recht auf die Wahrheit.
    So, wie sie ihm immer alles erzählt hatte, was sie bewegte, durfte sie auch jetzt nicht still bleiben. Sie brachte es einfach nicht übers Herz.
    Saunière schüttelte verwundert den Kopf, obwohl er Maries Antwort auf seine Frage schon erahnt hatte. Wer anders als die »Bewahrer des Lichts« verfügte schließlich über dieses Amulett. Und wer sonst hätte es Marie anvertrauen sollen? Es gab keine andere Möglichkeit. Das wusste er. Mit seiner Frage hatte er lediglich Maries Loyalität auf die Probe gestellt.
    »Dir ist klar, was es für ein Amulett ist?«
    »Ja«, sagte sie demütig.
    »Ich verstehe«, wiederholte Saunière monoton. Dann wandte er sich von Marie ab, um sich wieder um die Papiere zu kümmern, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen.
    Nachdem er erneut etwas notiert hatte, stand er auf, ging ans Fenster, zog den Vorhang zurück und schaute in das Dunkel der Nacht.
    Maries Blicke folgten Saunière bei jeder seiner Bewegungen.
    In ihr brannte der sehnliche Wunsch, den Abbé zu den erhobenen Vorwürfen zu befragen, ihm aus seiner misslichen Lage herauszuhelfen und alles wieder so werden zu lassen, wie es früher gewesen war.
    »Die ›Bewahrer des Lichts‹ sagen, du hättest etwas mit den Söhnen Luzifers zu tun.« Maries Worte kamen nur sehr zaghaft über ihre Lippen: »Sie behaupten, du bist ihr Superior …«
    Saunière hatte ihr noch immer den Rücken zugedreht. Er überlegte, was er seiner getreuen Haushälterin sagen sollte. War sie wirklich stark genug für die Wahrheit?
    Plötzlich begann der Priester laut zu lachen. Er wandte sich ihr wieder zu. In seinen Augen meinte Marie ein
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