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Es muss nicht immer Mord sein

Es muss nicht immer Mord sein

Titel: Es muss nicht immer Mord sein
Autoren: Imogen Parker
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Tochter.
    »Meine Mutter«, sagte ich und zog sie nach vorne.
    Liz verstummte plötzlich. Sie hörte beinahe so
rasch auf zu schluchzen, wie sie damit begonnen hatte. Sie richtete sich auf
und wischte sich die Augen, und dabei erhaschte sie in dem großen,
goldgerahmten Prunkspiegel, der in dem Schaufenster ausgestellt war, einen
flüchtigen Blick auf uns drei, die wir dastanden und sie beobachteten.
    Ich sah die Szene aus ihrer Sicht vor mir. Ganz
rechts war meine Mutter, die noch immer die marineblaue Baumwollhose und die
flachen Schuhe trug, die sie auf der Reise angehabt hatte, daneben ich mit
exakt der gleichen Haarfarbe; mit meinen ausgefransten Bluejeans und den
Turnschuhen sah ich mehr denn je wie eine schlampigere Version von Mutter aus.
Neben mir stand Liz’ Mutter, eine grauhaarige, bebrillte und robustere Ausgabe
ihrer selbst.
    »Du lieber Himmel«, sagte Liz leise. »Ich hab’s
mal wieder geschafft, Mama, stimmt’s?«
    Und sie begann zu schreien, ganz gedämpft
zuerst, dann lauter, bis schließlich ein furchtbares, furchterfülltes
Klagegeheul daraus wurde und sie unwillkürlich zu zittern anfing.
     
    Es gelang uns, Liz und ihre Mutter nach oben in
meine Wohnung zu bugsieren. Dave hatte die Geistesgegenwart, einen Arzt zu
rufen, der ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gab und nach einer geflüsterten
Unterhaltung mit ihrer Mutter entschied, sie zur Beobachtung ins Krankenhaus
einzuliefern. Reg bot an, sie beide hinzufahren. Ich saß mit Liz auf dem
Rücksitz und versuchte, sie zu trösten.
    Ihre Mutter saß auf der anderen Seite der
Rückbank. Sie war verschlossen und unwillig, irgend etwas zu erklären, und
mochte meine Mutter sie auch noch so freundlich ins Verhör nehmen.
    Liz atmete allmählich wieder normaler, und ihr
Schluchzen ließ nach. Ich merkte, daß sie reden wollte, erklären, aber sie war
zu durcheinander, um sich klar auszudrücken.
    Alles was ich den kurzen Satzfetzen entnehmen
konnte, die sie zwischen den eisigen Zurechtweisungen ihrer Mutter
herausbrachte, war, daß sie an einer Art Wahnvorstellung bezüglich meiner
Identität zu leiden schien.
    »Aber du siehst genau wie sie aus. Du siehst
genau wie sie aus«, sagte sie immer wieder und deutete dabei auf den
Beifahrersitz. »Und du siehst überhaupt nicht aus wie ich.«

Kapitel Dreiundzwanzig
     
      Erst als ich eine Pause machte und auf die
drei leeren Kaffeetassen vor mir herunterschaute, wurde mir klar, wie lang ich
geredet haben mußte. Der Kellner schnappte sich den überquellenden Aschenbecher
und fragte betont, ob er sonst noch etwas tun könne. Ich ignorierte ihn.
    »Liz hatte sich eingeredet, daß ich ihre Tochter
sei, verstehen Sie«, sagte ich zu Charlotte.
    Ich beobachtete sorgfältig, wie sie reagieren
würde.
    Sie zündete sich eine neue Gauloise an und
inhalierte nachdenklich. Ich fand ihre Coolness ziemlich enervierend. Blauer
Rauch und Schweigen hingen zwischen uns.
    »Zunächst hat es mich arg verstört«, plapperte
ich nervös weiter. »Um ehrlich zu sein, ich mochte nicht drüber nachdenken. Die
Mutter von Liz wollte das Ganze offensichtlich unter den Teppich kehren, und
mir war es nur zu recht, das alles auch zu verdrängen. Sie kam, holte Liz’ paar
Habseligkeiten aus der Wohnung und zahlte Costas die Miete für den Rest der
Vertragszeit.«
     
    Mein Leben war in normale Bahnen zurückgekehrt.
Ich arbeitete weiter bei der Bank. Ich traf sogar eines Mittags Jools in der
Sauna und geriet ins Plaudern. Unsere Freundschaft war nicht mehr die gleiche,
aber wir konnten herzhaft über unsere Mißverständnisse lachen. Sie sagte, ihr
Auftrag sei beendet, und sie mache jetzt einen Schreibtischjob. Ich wußte
nicht, ob ich ihr glauben sollte oder nicht.
    Ich dachte nicht groß über Liz nach, bis Mutter
und Reg eines Abends auf dem Heimweg von einem Musical bei mir vorbeischauten.
Während wir auf meiner Dachterrasse saßen und die Eiscreme aßen, die sie unterwegs
gekauft hatten, wurden wir mit einer energischen Liebesszene aus Jonathan
Stones neuem Stück unterhalten, und um seine Verlegenheit über die intimen
Geräusche zu verbergen, die zu uns heraufschwebten, fragte Reg, ob ich etwas
von Liz gehört habe. Ich sagte, ich hätte nicht, und daß ich sie allmählich zu
vermissen beginne, weil die Frau, die in ihre Wohnung gezogen war, ein Baby
hatte, das noch nicht alt genug war, um die Nacht durchzuschlafen. Liz war
zumindest ruhig gewesen, sagte ich.
    Nachdem sie gegangen waren, fühlte ich mich ein
bißchen
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