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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Autoren: Horst Bosetzky
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sagen! Zweihundert Eiskünstler sind da aufgetreten! Und Mädchen dabei - unglaublich! Dazu der Koslecksche Bläserbund und die Hauskapelle. Zehntausend Leute passen in den Sportpalast rein. Und dann die Beleuchtung - märchenhaft! So hell wie eine halbe Million Kerzen.»
    «Gott, die alle anzünden!», rief Kappe, seinen Bruder auf den Arm nehmend. «Was das an Streichhölzern kostet. Und eine halbe Million durch zehntausend - da muss jeder Besucher fünfzig Stück anzünden, bevor es richtig hell ist.»
    Pauline hatte viel von ihrer Herrschaft zu berichten. «Er ist Deutsch-Professor im Gymnasium nebenan - und vergisst immer alles. Auch seinen Afterschließmuskel geschlossen zu halten, wie die Gnädige das nennt. Er sagt Flatu. .. Flatu. .. Gott, wie heißt das? Flatulenz! Wo er in der Wohnung geht und steht, lässt er einen sausen. Wie macht er das bloß während des Unterrichts?»
    «Am besten, er sattelt auf Chemielehrer um», sagte Oskar.
    «Im Chemie-Unterricht stinkt’s doch sowieso immer.»
    Kappe erzählte von seinem Kollegen Gustav Galgenberg.
    «Der mit seinen Sprüchen: ‹Sieh da, sieh da, Timotheus, die Olle fällt vom Omnibus!› Und dann immer sein: ‹Ein Satz mit. ..› Ein Satz mit Bilder? Bilda man nischt ein!»
    Am Bahnhof Scharmützelsee holte sie ihr Bruder Albert ab, und zu viert gingen sie nach Hause. Wilhelm Kappe, das Geburtstagskind, war auch heute morgen zum Fischen auf dem See gewesen und noch damit beschäftigt, seinen Kahn zu säubern und die Gerätschaften wieder in Ordnung zu bringen. Die Glückwünsche seiner «Berliner Kinder», wie er sie nannte, nahm er wortlos entgegen. Was sollte er auch groß sagen? Es war jedes Jahr dasselbe, und alle wussten es. Die Mutter kam, alle zu umarmen. Auch die Börnickes waren angereist, und Hermann Kappes Cousine Hertha errötete heftig, als sie ihn erblickte.
    Kappe fühlte sich ungemein wohl im Schoße seiner Familie, zugleich aber erschien ihm alles fremd. Zu sehr war er schon Berliner und Kriminaler geworden.
    Zum Mittag gab es Fisch - was sonst? –, und dann hieß es:
    «Nach dem Essen soll man ruh’n oder tausend Schritte tun.» Kappe wählte eine dritte Variante: Er holte sein altes Fahrrad aus dem Schuppen, um zum Major nach Storkow zu fahren. Das gehörte zu jedem Besuch in Wendisch Rietz. Mitkommen wollte keiner.
    Es war ein trüber und nasskalter Tag, und Hertha hatte gemeint, so müsse es sein, wenn man elegische Gedichte schreiben wolle. Wie Goethe etwa: So überschleicht bei Tag und Nacht / Mich Einsamen die Pein, / Mich Einsamen die Qual. / Ach, werd ich erst einmal / Einsam im Grabe sein, / Da lässt sie mich allein.
    Kappe erschrak. Wie nahe war er doch - trotz seiner Jugend - dem Grabe schon gewesen! Fast wäre er, weil er eine hervorstehende Wurzel übersehen hatte, kopfüber zu Boden gestürzt. Schlammig war der Weg am südwestlichen Ufer des Storkower Sees, und er bereute schon, sich aufs Rad gesetzt zu haben. Länger als eine Stunde konnte er ohnehin nicht beim Major von Vielitz verweilen, dann brach die Dämmerung herein. Hoffentlich war der Alte überhaupt zu Hause. Doch als sich Kappe der Villa von der Seeseite her auf etwa fünfzig Meter genähert hatte, sah er Licht in einem der hinteren Zimmer. Ein Mann stand im geöffneten Fenster, das Gesicht war deutlich zu erkennen. Das war aber nicht der Major, das war doch. .. Kockanz!
    Kappe bremste so heftig, dass er nun doch vom Rad fiel und im feuchten Gras landete. Und während er stürzte, begriff er schlagartig, wie alles zusammenhing.
    Alle wussten, dass der Major in seiner Berliner Zeit viele Amouren gehabt hatte, und es wurde gemunkelt, dass er einige uneheliche Kinder in die Welt gesetzt habe. Und eines von ihnen trug also den Namen Gottfried Kockanz. Der reiche Onkel aus Koblenz, von dem alle berichtet hatten, die Kockanz kannten, war in Wahrheit der wohlhabende Major Ferdinand von Vielitz aus Storkow. Und zu dem, zu seinem leiblichen Vater, hatte sich Kockanz nun geflüchtet.
    Während sich Kappe wieder aufrappelte, hörte er seine Cousine Hertha spotten: «Du, das ist ja wie bei der Courths-Mahler, wie wunderschön.» Er schalt sich einen Narren.
    Als er sich ausreichend gereinigt hatte, schob er sein Rad durch das Gras zur befestigten Straße und kam so zur Toreinfahrt. Der Major stand schon oben auf der Freitreppe, um ihn zu begrüßen.
    «Schön, dass du vorbeikommst, mein Sohn», sagte von Vielitz.
    «Es ist mir stets ein Herzensbedürfnis», erwiderte Kappe
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