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Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts

Titel: Es gab keinen Sex im Sozialismus - Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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heute;
Die Treiber schreien laut,
Und furchtbar jault die Meute.
    Gleichzeitig spielte Wissotzki in einer berühmten sowjetischen Krimiserie den Polizeikommissar. Im Film erwischte er eine Bande auf frischer Tat während eines Überfalls. Die Bande hatte den guten sowjetischen Namen »Schwarze Katze«. Die Banditen ergaben sich nacheinander, nur ihr Boss, ein böser Krüppel, wollte nicht. Wissotzki, der Kommissar, stand mit einer Pistole in der Hand vor der Tür und schrie: »Und jetzt
der Bucklige!« Dieser Satz prägte sich meinem Vater besonders stark ein. Als er einmal auf dem Flughafen von Odessa dem wahren Wissotzki begegnete, streckte er seine Hände aus und rief laut: »Und jetzt der Bucklige! Die Wolfsjagd ist angesagt! Uns jagen sie heute!«
    Wissotzki stand auf einer Treppe und rauchte. »Verpiss dich!«, sagte er leise zu meinem Vater.
    Trotzdem erzählte mein Vater jedem begeistert von dieser Begegnung.
    Wissotzki selbst schrieb in seinen Erinnerungen, wie er einmal im Ausland seinem Vorbild Charles Bronson begegnet war. In einem Hotel sah er den Schauspieler plötzlich auf einer Treppe stehen und rauchen. Wissotzki lief sofort zu ihm.
    »Sie hier! Das ist für mich eine große Ehre.«
    Der schlecht gelaunte Bronson drehte sich nicht einmal um, er sagte nur: »Go. « Deswegen sei er zu seinen Fans stets nett gewesen, schrieb Wissotzki in seinem Buch. Da hatte mein Vater wohl einfach den falschen Tag erwischt.
    Ich selbst habe einmal in Moskau mit Frank Zappa zusammen gefrühstückt. Tausendmal versuchte ich, diese Geschichte meinen Freunden zu erzählen, doch sie glaubten mir nicht.
    »Hör auf zu spinnen, Frank war nie in Moskau,
das wissen wir genau«, sagten meine Freunde. Wenn meine Kinder groß genug sind, werde ich ihnen von dieser wunderbaren Begegnung erzählen, sie werden mich verstehen. Aber sie werden nicht wissen, wer Frank Zappa war. So ist das Leben vergangen.

Der rote Film
    Ein Freund von mir, ein Kameramann, der deutsche Soldaten bei ihrem Friedeneinsatz in Afghanistan begleitete, erzählte einmal, dass die Soldaten dort die Anweisung bekommen hätten, keine verdunkelten Sonnenbrillen zu tragen, weil diese Brillen die afghanischen Männer irritieren könnten. Die Einheimischen verdächtigen nämlich alle bebrillten Soldaten, sie könnten damit durch die Burkas der Frauen sehen.
    Natürlich spinnen die Afghanen, sie trauen der Bundeswehr viel zu viel zu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die technische Entwicklung bei der Bundeswehr
so weit fortgeschritten ist. Diese Geschichte erinnerte mich allerdings an eine andere Legende, die zu Zeiten meiner sowjetischen Jugend sehr verbreitet war. Es ging um den sogenannten Rotfilm. Man erzählte sich, wenn man mit diesem Film Fotos machte, waren auf den Bildern alle angezogenen Mädchen nackt. Welche Wirkung der rote Film auf angezogene Männer hatte, wurde in der Legende nicht überliefert. Aber die nackten Mädchen waren uns Wunder genug.
    Die wildesten Erwartungen pflegte die sozialistische Jugend gegenüber dem kapitalistischen Warensortiment zu haben. Man wusste zu wenig aus erster Hand. Man nahm zum Beispiel an, dass kapitalistische Kaugummis süßer und langlebiger als unsere Kaugummis waren. Man konnte sie angeblich wochenlang kauen. Die kapitalistische Kleidung hatte in Farbe und Design einen deutlichen Vorsprung, die Autos von drüben waren besser als die von hüben konstruiert. Was die Kapitalisten sonst noch alles hatten, wusste niemand genau. Alles schien möglich, und so zweifelte auch keiner am roten Film. So etwas musste es im Westen einfach geben.
    Natürlich brachten solche Legenden dem Kapitalismus viele Fans, die alles taten, um einen politischen Wechsel herbeizuführen und um die Mädchen endlich
nackt sehen zu können. Dennoch: Als die Wende kam, geschah dies für die meisten unerwartet. Ohne Vorwarnung ergoss sich das kapitalistische Warensortiment über Osteuropa und vergrub uns unter billigem Kaugummi und gebrauchten Autos. An jeder Ecke eröffneten neue Läden, Geschäfte und Kioske. Auch viele Fotogeschäfte machten auf. Sie hatten eine große Auswahl an Fotopapier, an Filmen mit niedriger und hoher Lichtempfindlichkeit, für viel und für wenig Geld, aber ein Rotfilm war nicht dabei. Seitdem denken viele in Russland, die Kapitalisten hätten uns den echten Kapitalismus einfach nicht gegönnt. Sie hätten die besten Sachen für sich behalten, benutzten sie nur im kleinen Kreis, und uns verkauften sie nur Mist.
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