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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu einer geachteten Persönlichkeit dieser finsteren Gegend. Selbst die kaiserliche Polizei winkte ab, wenn man sich über sie beschwerte und etwa klagte: »Komme ich an ihren Stand und will ein paar Gurken kaufen. Da liegen sie, nebeneinander, alle schön blank, tief grün, eine wahre Augenweide. Aber man kennt das ja … oben glänzen sie, unten faulen sie. Ich greife also zu, prüfe die Gurken, drücke und wende sie – was schreit da das fürchterliche Weib? ›Nimm die Pfoten weg, du Aussätziger!‹ Ich sage: ›Mütterchen‹, so höflich war ich! – ›Mütterchen, ich habe meine Kopeken ehrlich verdient, mit schwerer Arbeit, nicht gestohlen! Ich will vorher sehen, was ich nachher im Topf habe!‹ Und was tut sie? Sie schlägt mir mit einem Brett auf die Finger, jagt mich davon und wirft mir noch eine dicke faulende Zwiebel nach. Anzeigen will ich sie hiermit! Eine Schande ist dieses Weib für jeden ehrlichen Markt.«
    Über so etwas hörte die Polizei seit Jahren hinweg. Sie verteilte tröstende Worte an die Geschädigten, schickte ab und zu einen Polizisten auf den Markt, aber der ermahnte die Bondarewa nicht, sondern trank mit ihr hinter einem Segeltuchvorhang ein Gläschen Wodka oder einen Birkensaftlikör, den sie selbst ansetzte und nach alten Rezepten ihrer Heimat braute.
    Die Herkunft von Rosalia Antonowna lag weitgehend im dunkeln. Vor achtzehn Jahren war sie in St. Petersburg aufgetaucht, hochschwanger; als ganze Habe nur einen Sack aus buntem Leinen bei sich, in dem sich Wäsche befand, eine zerlesene Bibel, eine kleine, abgegriffene Reise-Ikone zum Aufklappen, ein Beutelchen mit Hirse und Zucker, ein Stück scharfgeräucherter Speck, ein scharfes Messer, ein kleines Beil, ein Hanfseil und ein Papier des Starosts von Tatschenowo, daß sie Rosalia Antonowna heiße und sich Bondarewa nenne, weil sie guter Hoffnung sei und ein gewisser Bondarew der Vater sein müßte.
    Tatschenowo liegt in der Nähe des Ladogasees, inmitten von riesigen Wäldern, Kohlfeldern und Sümpfen, wo man Binsen und Weidenruten erntet, aus denen dann Körbe, Schüsseln, Matten, Stuhlsitze, Lampen und sogar Tischplatten geflochten werden.
    Rosalia war damals ein hübsches Mädchen und diente als Magd auf dem Gut des Grafen Seratzky. Groß war sie, mit starken festen Brüsten, stämmigen Beinen. Ihr Haar war so blond wie reifes Sommerkorn.
    Soviel Schönheit war selbst am Ladogasee eine Seltenheit, und es vollzog sich alles, wie es kommen mußte: Zuerst erfrischte sich der alte Graf Seratzky an der drallen Jugend Rosalias, dann sein Vetter, aber als dann auch noch der älteste Sohn mit ihr das Heu zerdrückte, kam es zum großen Streit.
    Rosalia wurde verbannt und kam auf das Gemüsegut. Aber ein Mädchen wie sie, das großen Gefallen an der Männlichkeit gefunden hatte, blieb nicht lange allein. Ein Leben war das! Zwar nicht gerade moralisch – viermal ließ der Pope sie kommen und redete auf sie ein. Er ließ sie endlich beichten und schilderte die Qualen der Hölle mit dumpfer Stimme und betete mit Rosalia alle Sühnelitaneien herunter – aber als beim fünften Mal ihre Bluse aufriß, als sich ihre strammen Brüste entblößten und sie dem Popen zeigte, wo der Jagdaufseher des Grafen sie im dichten Birkenwald gebissen hatte, ein großes rundes Wundmal war es geworden, da verhängte das Väterchen in seiner Stube hinter dem Altar die Ikone mit dem Gekreuzigten, und Rosalia blieb noch eine Weile.
    Man muß den Teufel an der Wurzel austreiben!
    Niemand wunderte sich, als Rosalia plötzlich schwanger wurde, nur das Rätselraten begann, wer der Vater sein könnte. Man hätte es unter den vielen Möglichkeiten mit einem Abzählvers versuchen können: »Einmal du und einmal du, dir gehört die trächt'ge Kuh …«, aber das war keine endgültige Lösung. Väterchen Ifanasy, der Pope, war der einzige, der aus dem Rennen ausschied. Er erklärte schlüssig, daß er mit seinen bald siebzig Jahren jenseits allen Verdachtes stehen müsse!
    Rosalia Antonowna entschloß sich, einen gewissen Felix Jewsejewitsch Bondarew als Vater anzunehmen. Felix Jewsejewitsch hatte in dem kritischen Zeitraum auf dem Gut des Grafen gewohnt, war ein Vertreter für Landmaschinen aus der Stadt Nowgorod und hatte auf dem Gemüsegut eine automatische, mit Dampf betriebene Rübenköpfmaschine vorgeführt. Er blieb acht Tage, natürlich in Rosalias weichen, aber starken Armen, und als er wieder zurückfuhr nach Nowgorod, geschah es zum erstenmal, daß Rosalia um
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