Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Geständnis: »Wende dich immer an den Marktaufseher Stepan Mironowitsch! Er wird dir helfen. Sage ihm bloß, du wüßtest von mir, daß er ein großer Lump sei und in die eigene Tasche kassiere. Er betrügt nämlich die Verwaltung!«
    Dann starb sie, umgeben von vier Kerzen, die der Krämer Pjotjijeff um sie herum auf den Dielenboden gepappt hatte. Man betete inbrünstig und trug sie fort. Rosalia hat nie erfahren, ob man sie begraben oder einfach in die Newa versenkt hatte. So wichtig ist das nicht …
    Von einem Tag auf den anderen war Rosalia Antonowna zwar nicht wohlhabend, aber selbständig geworden. Schon im Morgengrauen des nächsten Tages schob sie ihren geerbten Karren zur Markthalle, wo die Bauern ihre Waren ablieferten und die schweren Fuhrwerke von den hochwohlgeborenen Gütern ankamen und die Verpflegung für die Großstadt St. Petersburg abluden.
    Schon an diesem Tag zeigte es sich, daß Rosalia eine Person war, die man fürchten mußte: Sie feilschte und handelte, beschimpfte die Lieferanten, nannte sie aufgeblasene Säcke oder Tonköpfe, rostige Eierpfannen und was dergleichen nette Bezeichnungen mehr sind, schlug den lachenden Händlern auf die Finger, wenn sie an ihre strammen Brüste faßten, und erschien auf dem Markt von Sennaja Ploschtschad mit dem besten Gemüse, das seit langem hier angeboten wurde. Es war Gemüse, wie es sonst nur in die herrschaftlichen Küchen geliefert wurde: fleckenlos, ohne ein fauliges Stellchen, geputzt und knackfrisch. Eine wahre Augenweide!
    Dafür setzte Rosalia alle Preise um eine halbe Kopeke herauf.
    Der Neid begann sich auf dem Markt auszubreiten. Gerüchte wurden ausgestreut, daß sie nur deshalb so gute Ware habe, weil sie als Spitzel der berüchtigten kaiserlichen Geheimpolizei, der Ochrana, in dieser suspekten Gegend wohnte, und überhaupt habe sie die Witwe Maruta gar nicht beerbt, sondern ihr in den letzten Minuten ihres Lebens eingeredet, daß sie den Gemüsestand nur an sie abgeben dürfe.
    Zwar bestritt der Augenzeuge Pjotjijeff dies auf das entschiedenste, aber nachdem ihn nachts zwei Unbekannte verprügelt hatten, und er vier Tage lang nur noch mühsam atmen konnte, erinnerte er sich plötzlich an nichts mehr und grüßte auch Rosalia Antonowna nicht, wenn sie an ihm vorbeiging.
    Aber man kannte Rosalia noch nicht!
    Mit mütterlicher Freude überwachte sie die Entwicklung ihres Töchterchens und bemerkte eines Tages mit Erstaunen, daß die Kleine mit einer zu Herzen gehenden Grazie gesegnet war. Beim Klang von Musik – meist waren es Flöten oder Zupfgeigen von Straßenmusikanten – begann sich Matilda kokett zu drehen; einmal, es spielte ein Wandergaukler auf einer Ziehharmonika, tanzte sie sogar richtig, schwang die Beinchen, bewegte die Arme wie Lilien im Wind und hüpfte sogar – was ihr niemand gezeigt oder erklärt hatte – auf den Zehen!
    Rosalias Herz blähte sich vor Stolz und Bewunderung. Sie beschloß, an den großen Markttagen – mittwochs und sonnabends – Matilda vor ihrem Gemüsestand tanzen zu lassen.
    War das eine Aufregung!
    Während die Käufer Rosalias Gemüsestand umringten und dem zierlichen schwarzlockigen Püppchen zusahen, das sich da nach den klagenden Klängen einer Flöte drehte, von einem ortsbekannten schielenden Säufer geblasen, der pro Tag von Rosalia zehn Kopeken bezog und diese sofort wieder vertrank, riefen die anderen Marktständler lauthals nach der Polizei und klagten auf Belästigung.
    Aber sie blitzten ab. Es gab weit und breit keine Marktordnung, die das Tanzen verbot, auch wenn es die Käufer anlockte, und außerdem erfreuten sich auch die Polizisten an der Kleinen und schenkten ihr ab und zu eine Kopeke, damit sie sich ein paar Zuckerbonbons kaufen konnte.
    Als sie sieben Jahre alt war, konnte sie tanzen wie eine Zigeunerin. Rosalia teilte ihr Geschäft auf. Eine Stunde Gemüseverkauf … eine halbe Stunde Tanzvorführungen. Sie ließ dann durch die Menge eine alte Blechschüssel kreisen, und oft verdiente Matilda mit ihren grazilen Drehungen mehr als die Mutter mit Gurken, Zwiebeln und Rüben.
    Mit neun Jahren, an einem Sommertag 1884, begegnete sie Tamara Jegorowna. Ein reiner Zufall war's, einmal, weil heute gerade ein Tanztag war, und zum zweiten, weil sich die Jegorowna in Begleitung von zwei Offizieren der kaiserlichen Husaren in die wüste Gegend um den Heumarkt wagte, um einen Blick in das gesammelte Elend der Menschheit zu werfen. Ihre Kutsche wurde dreimal mit Unrat beworfen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher