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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geliebten französischen Cognac. Dann schlossen sich die Türen.
    »Ich will nur gestört werden, wenn die Welt untergeht!« befahl der Zar.
    Die vier Herren tranken ihren Tee, knabberten an dem Gebäck, Großfürst Nikolai kaute genußvoll seinen angewärmten Cognac. Dabei schwiegen sie aus Gewohnheit, denn der Zar würde das Gespräch eröffnen.
    »Ich mache mir Sorgen um den Zarewitsch!« sagte er dann auch, als sich Großfürst Nikolai eine Zigarette anzündete. »Er ist jetzt fünfundzwanzig Jahre alt! Gott steh mir bei … Was war ich in diesem Alter für ein Kerl! Aber er? Besuche ich ihn in seinem Büro der Sibirischen Bahn, so sitzt er da, umgeben von Plänen, und liest mit roten Backen Voltaire! Was soll das werden?«
    Der Zar sah seinen Bruder Nikolai forschend an. Er war der einzige in diesem Kreis, der sich weltmännisch über gewisse Sitten hinwegsetzte. Wenn Zar Alexander III. vielleicht der einzige Herrscher Rußlands war, der nie eine Mätresse besessen hatte, der nie der Zarin untreu geworden war und Züchtigkeit für eine der edelsten menschlichen Tugenden hielt, so war bekannt, daß der Großfürst seine Liebschaften kaum noch zählen konnte. Man munkelte sogar, seine dürre Länge käme nur davon, daß er jedes Gramm Fett in Energie für die Liebe umsetzte.
    »Hat mein Sohn eine Geliebte?« fragte Alexander III.
    »Wie sollte er?« Nikolai Nikolajewitsch grinste. Sein bartüberwuchertes Gesicht drückte breiten Spott aus. »Er wird rot, wenn ihn ein Mädchen ansieht. Genug Hofdamen gäbe es, die sofort die Röcke rafften, aber er sieht sie gar nicht …«
    »Wir müssen ihn verloben!« Der Zar wandte sich an Katkow: »Michail Nikiforowitsch, es müßte eine energische Frau sein. Eine Frau mit Ehrgeiz! Gott im Himmel, wenn ich daran denke, wie viele große Frauen Rußland hervorgebracht hat! Haben Sie Vorschläge?«
    »Ich habe mich noch nicht damit befaßt.« Katkow schielte zu Pobedonoszew hinüber.
    Der einflußreiche Mann und oberste Kirchenbeamte rührte in seiner Teetasse und wölbte die Unterlippe vor. Ihm war das Problem des Zaren nicht neu, wie keinem in dieser Runde: Der Zarewitsch war zu weich, um einmal dieses Riesenreich zu regieren. Zwar dachte er wie sein Vater – Vorherrschaft des absoluten Zarentums, Unangreifbarkeit des von Gott geschickten Herrschers –, aber in kritischen Situationen, so fürchtete man, würde er zögern, nach Rat suchen und so lange nach Lösungen tasten, bis ein Durchsetzen seines Willens nur noch mit Blut möglich war. Darauf aber warteten die geheimen extremen Gruppen, die von Revolution und Volksherrschaft träumten. Die Anarchie stärkte sich im Verborgenen. Der Zarewitsch würde nicht der Zar werden, der sie zerschlagen konnte.
    »Sag etwas!« drängte der Zar. »Konstantin Petrowitsch, ich schlafe vor Sorge kaum noch! Gespräche mit meinem Sohn enden immer so, daß ich denke, er hört mich gar nicht, sondern lauscht einer für mich unhörbaren Musik!«
    »Wir müssen Geduld haben«, antwortete Pobedonoszew und trank seinen Tee aus. »Der Zarewitsch hat gute Anlagen.«
    »Sie sollen endlich zum Durchbruch kommen!« rief der Zar. »Manchmal möchte ich es machen wie unsere Vorfahren. Die schickten ihre Söhne auf die Bärenjagd – nur mit einem Spieß! Aber daraus wurden Männer!«
    »Das Komitee zum Bau der Sibirischen Eisenbahn leitet der Zarewitsch aber sehr gut«, sagte Katkow besänftigend. »Er ist überall beliebt.«
    »Das ist es!« Der Zar ballte die Faust und legte sie auf den Tisch. »Man soll den Zaren nicht lieben – man soll ihn fürchten! Das russische Volk verträgt kein Streicheln, es erkennt nur die Stärke an! Das lehrt uns die Geschichte! Rußland hat die Jahrhunderte nur überlebt, weil es zum ersten dulden, dann im rechten Augenblick opfern und drittens – zur richtigen Zeit zuschlagen kann! Es ist ein Volk, grandios wie die Natur, in der es lebt. Für ein solches Volk muß ich einen guten Sohn haben! Meine lieben Freunde, helft mir aus Nikolai, den sie schon verweichlicht ›Niki‹ nennen, einen großen Nikolaus zu machen. Noch ist es Zeit … Er ist erst fünfundzwanzig!«
    Der Zar wartete, bis Großfürst Nikolai seinen dritten Cognac getrunken hatte und fügte dann hinzu: »Er muß eine gute Frau bekommen! Eine tapfere Frau. Eine kluge Frau. Wir sollten uns darum kümmern, Nikolai Nikolajewitsch.«
    »Es gibt Töchter genug!« Der Großfürst lachte glucksend. »Aber seine Schüchternheit wird ihnen nicht gefallen
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