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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Michel Verne
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die Menschheit beschäftige, noch an diesem Abend seine Lösung finden werde:
    Wir erinnern uns noch, daß vor etwa einem Jahrhundert Dr. Nathaniel Faithburn die Aufmerksamkeit der ganzen Welt durch ein äußerst kühnes Experiment auf sich zog. Er war ein überzeugter Verfechter des menschlichen Winterschlafs – der Möglichkeit also, die lebenswichtigen Funktionen ›einzufrieren‹ und sie dann nach längerer Zeit wiederzubeleben. Diese Methode wollte er nun an sich selbst ausprobieren. Nachdem er durch ein eigenhändig verfaßtes Testament die Operationen vorgeschrieben hatte, die ihn hundert Jahre später, auf den Tag genau, wieder zum Leben erwecken sollten, hatte er sich bei einer Kälte von 172 Grad einfrieren lassen; er war dann, zur Mumie erstarrt, in eine Gruft eingeschlossen worden – für hundert Jahre …
    Und nun, heute, am 25. Juli 2889, ist diese Frist abgelaufen! Francis Benett wird gebeten, in einen bestimmten Saal des
Earth Herald
zu kommen, wo die so ungeduldig erwartete Auferstehung des kühnen Arztes vor sich gehen soll. Die Öffentlichkeit werde über den Verlauf der Sensation von Sekunde zu Sekunde auf dem laufenden gehalten werden.
    Der Vorschlag wird angenommen, und da die Operation nicht vor zehn Uhr abends beginnen soll, legt sich Francis Benett im Hörsaal auf ein Ruhebett. Er dreht an einem Knopf – und ist schon mit dem Zentralkonzert verbunden.
    Nach einem derart lebhaften Tag findet er köstliche Entspannung beim Anhören unserer besten Dirigenten, die – wir wissen es ja – ihre Werke nach den glänzenden, algebraisch errechneten Harmonien komponiert haben …
    Es ist dämmerig geworden, und Francis Benett liegt in einem halb-ekstatischen Dämmerschlaf. Doch da geht plötzlich eine Türe auf:
    »Wer ist da?« Er berührt einen in Reichweite angebrachten Schalter, der die Luft im Saal zum Vibrieren und darum zum Leuchten bringt.
    »Ach, Sie sind es, Herr Doktor!« Francis Benett richtet sich auf.
    »In Person«, sagt Dr. Sam. Er kommt zur täglichen Arztvisite – Jahresabonnement! »Wie geht’s?«
    »Gut!«
    »Um so besser. Mal die Zunge herzeigen!« Und er nimmt sie unter die Lupe. »Gut. Und jetzt den Puls!«
    Er tastet ihn mit einem Pulsographen ab, ähnlich dem Instrument, das die Erdbeben registriert. »Ausgezeichnet! Wie steht’s mit dem Appetit?«
    »Puh!«
    »Eben … der Magen! … Er arbeitet nicht mehr gut, der Magen! … Wird alt! Sie müssen unbedingt dieser Tage einen neuen einsetzen lassen! …«
    »Ist schon recht«, meint Francis Benett dazu. »Inzwischen, Doktor, speisen Sie erst mal mit mir!«
    Während des Essens hat er die Verbindung mit Paris wieder hergestellt. Diesmal sitzt Frau Benett am Tisch. Das Abendessen verläuft harmonisch, es ist gewürzt mit den Witzchen des Arztes. Kaum sind sie mit Essen fertig, als Francis Benett seine Frau fragt:
    »Wann, meinst du, bist du wieder da, liebe Edith?«
    »Ich reise jetzt gleich ab.«
    »Mit der Untergrund oder mit dem Aerotrain?«
    »Untergrund.«
    »Dann bist du wann hier?«
    »Elf Uhr neunundfünfzig nachts.«
    »Pariser Zeit?«
    »Nein doch! Centropolis-Zeit.«
    »Auf bald denn, und verpaß mir nicht die Untergrundbahn!«
    Diese unter dem Ozean fahrenden Züge, mit denen man heute in zweihundertfünfundneunzig Minuten von Europa her in Centropolis ist, sind eigentlich den Aerotrains unbedingt vorzuziehen, die ja kaum tausend Kilometer in der Stunde schaffen.
     
    Der Arzt hat sich zurückgezogen, nachdem er versprochen hat, bei der Auferstehung seines Kollegen Nathaniel Faithburn zugegen zu sein. Francis Benett aber begibt sich in sein Bureau, wo er die Tageseinnahmen kontrollieren will. Das ist an sich eine gewaltige Rechenoperation, wenn man bedenkt, daß die täglichen Unkosten allein sich auf achthunderttausend Dollar belaufen. Doch glücklicherweise erleichtern die fortschrittlichen modernen Methoden diese Art von Bureauarbeit ganz enorm. Mit Hilfe des elektronischen Rechenapparates hat Francis Benett seine Arbeit im Nu erledigt.
    Es wird Zeit. Kaum hat er die letzte Addition getippt, wird er schon in den Hörsaal gebeten. Er eilt hin, und eine zahlreiche Menge von Wissenschaftlern begrüßt ihn, unter ihnen auch Dr. Sam.
    Auf einem Gestell mitten im Saal steht der Sarg mit dem eingefrorenen Dr. Nathaniel Faithburn. Die Fernsehkamera wird betätigt. Die ganze Welt will den verschiedenen Operationen zur Wiedererweckung beiwohnen.
    Der Sarg wird aufgemacht … Nathaniel Faithburn wird herausgehoben …
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