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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Michel Verne
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Gewicht seiner Gedanken die Schritte des weisen Zartog. Während er sich mit zerstreuter Hand die Schweißtropfen von der Stirne wischte, erinnerte er sich wieder der soeben beendigten Sitzung, bei der so viele blendende Redner – unter die selber zu gehören er sich die Ehre gab – so prächtig das Jubiläum des hundertfünfundneunzigsten Bestehens des Reiches gefeiert hatten.
     
    Die einen hatten einen Überblick über die Geschichte der Menschheit entworfen. Sie hatten das Mahart-Iten-Schu, das Land der vier Meere also, beschrieben, wie es ursprünglich von einer unglaublich großen Zahl von wilden Völkern bewohnt gewesen sei, die aber nichts voneinander wußten. Auf diese Völkerstämme sollen die ältesten Überlieferungen zurückgehen. Was aber vor diesen Völkern war, davon wußte keiner zu berichten; kaum vermochten die Naturwissenschaften hier ein schwaches Licht in das undurchdringliche Dunkel der Urzeit zu werfen. Auf jeden Fall entzogen sich diese fernen Zeiten der historischen Kritik, deren erste Ansätze sich aus den sehr ungenauen Kenntnissen über die weitherum zerstreuten Völker der Vorzeit bildeten.
    Während mehr als achttausend Jahren hatte die mit der Zeit immer vollständiger und genauer werdende Geschichte des Mahart-Iten-Schu eigentlich nichts anderes zu melden als von Kampf und Krieg, erst von Mann zu Mann, dann von Familie zu Familie und schließlich von Stamm zu Stamm. Das einzige Ziel, das dabei jedes Lebewesen, jede kleinere oder größere Gemeinschaft zu verfolgen schien, war das des Sieges über den Rivalen, den man hierauf seinen eigenen Gesetzen zu unterwerfen versuchte, was mit unterschiedlichem Erfolg – und oft auch ohne – geschah.
    Nach jenen ersten achttausend Jahren wurde dann das Erinnerungsvermögen des Menschen etwas besser. Zu Beginn der zweiten der vier Epochen, in welche man allgemein die Annalen des Mahart-Iten-Schu einzuteilen pflegte, begann dann die eigentliche Geschichte an die Stelle der Legende zu treten. Im übrigen – ob wir’s nun Legende oder Geschichte nennen – änderte der Inhalt jener Erzählungen kaum: Massaker und Totschlag, immer noch dasselbe – nun aber nicht mehr zwischen den verschiedenen Stämmen, sondern zwischen ganzen Völkern; sonst aber war diese zweite Epoche, alles in allem genommen, von der ersten nicht sehr verschieden.
    Dasselbe läßt sich von der dritten Epoche melden, die vor kaum zweihundert Jahren zu Ende gegangen war, nachdem sie an die sechs Jahrhunderte gedauert hatte. Wenn irgend etwas, so war diese dritte Epoche eher noch entsetzlicher, noch blutiger verlaufen. Die Menschen hatten sich in dieser Zeit zu ungezählten Armeen zusammengetan und mit unstillbarer Wut die Erde mit ihrem Blut getränkt.
    Etwas weniger als acht Jahrhunderte vor jenem Tage, als der Zartog Sofr durch die Hauptstraße von Basidra ging, hatte sich die Menschheit in einem gewaltigen Umbruch befunden. Die Waffen, das Feuer und die Gewalt hatten bereits ihr Teil daran geleistet, die Schwachen waren den Starken unterlegen. Und die Menschen, die das Mahart-Iten-Schu damals bevölkerten, bildeten drei gleich starke Nationen, unter denen die Unterschiede zwischen Siegern und Besiegten sich abgeschliffen hatten. Da aber hatte es eine der drei Nationen unternommen, die andern zwei sich zu unterwerfen. In der Mitte des Kontinents wohnten die Andarti-Ha-Sammgor, die
Menschen mit den Bronzegesichtern,
eine kampfesfreudige und fruchtbare Nation. Diese versuchte nun die andern zwei gnadenlos auszurotten und besiegte in jahrhundertelangen Kriegen sowohl die Andarti-Mahart-Horis – die
Menschen des Schneelandes
im Süden – als auch die Andarti-Mitra-Psul, die
Menschen des Fixsternes,
welche im Norden und im Westen des Kontinents wohnten.
    An die zweihundert Jahre waren seit der allerletzten Revolte zwischen den beiden übrigbleibenden Völkern verflossen, die in Strömen von Blut ausgegangen war, und die Erde erlebte endlich eine Periode des Friedens. Es war dies die vierte Epoche der Menschheitsgeschichte. Ein einziges Reich war an die Stelle der drei früheren getreten, und alle Menschen gehorchten dem Gesetz von Basidra. Die politische Einheit war dazu angetan, die drei Rassen zu verschmelzen. Keiner redete mehr von den
Menschen mit den Bronzegesichtern,
von den
Menschen des Schneelandes
oder von den
Menschen des Fixsterns,
denn die Erde trug nun bloß noch ein einziges Volk, das der Andart’-Iten-Schu,
Menschen der vier Meere,
die alle andern in sich
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