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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht
Autoren: Jessica Shirvington
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Plötzlich wusste ich gar nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich meine, ich hatte nicht gewollt, dass er es erfuhr. Ich wollte nicht, dass irgendjemand davon wusste. Aber da es nun einmal so war, fühlte es sich komisch an, wenn ich nicht so viel wie möglich erklärte. Und … wenn ich jemals gewollt hätte, dass jemand davon erfährt, wäre es ohnehin er gewesen. Nun wusste ich also nicht weiter, weil ich eigentlich nichts sagen wollte … aber ich sagte trotzdem etwas.
    Lincoln holte die frische Pasta aus dem kochenden Wasser und begann, sie mit dem Huhn zu vermischen. Dann fügte er Zitrone, Feta und eine Menge Basilikum hinzu. Der Duft erfüllte den Raum und ich lächelte, denn ich erinnerte mich an die Zeit, als er versucht hatte, Basilikum in Blumentöpfen zu ziehen, und kläglich scheiterte. Innerhalb weniger Wochen hatte er alle drei Pflanzen eingehen lassen, was mich zu hysterischen Lachanfällen veranlasste. Bis heute wurde er noch sauer deswegen, was mich noch immer zum Lachen brachte.
    Wir setzten uns an den Tisch und er gab mir eine Gabel. Ich beobachtete ihn beim Essen. Er beobachtete mich beim Herumstochern. Ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht viel hinunterbekam. Aber er beschwerte sich nicht, sondern räumte einfach die Teller ab und kam mit einer Tasse Kaffee zurück, von der sich meine Hände wie Magneten angezogen fühlten. Irgendetwas hatte der bittersüße Geruch von gerösteten Kaffeebohnen an sich, was mich an die Zeit erinnerte, als ich noch ein kleines Mädchen war, als Dad es tatsächlich noch nach Hause schaffte, bevor ich eingeschlafen war. Er hatte immer nach Kaffee und mehrere Tage altem Rasierwasser gerochen, was die reine Glückseligkeit für mich gewesen war. Sobald ich herausgefunden hatte, wie man Wasser aufsetzt, hatte ich begonnen, Kaffee zu trinken.
    Schließlich blickte ich von meiner Tasse auf. »Ich möchte, dass du es weißt.«
    Er schaute mich an, meine Finger schlossen sich fest um die Kaffeetasse, unter dem Tisch wippte mein Knie.
    »Bist du dir sicher?«
    Ich nickte und zwang mich zur Ruhe, konzentrierte mich darauf, einen Punkt zu finden, der mir gerade genug Abstand ließ. Es begann immer auf dieselbe Weise – ich wählte einen Punkt und konzentrierte mich darauf; in diesem Fall meine Kaffeetasse. Dann holte ich tief Luft und beruhigte mich, damit ich meinen Tonfall beibehalten konnte und nicht zusammenbrach und wimmerte, wenn ich anfing zu sprechen.
    »Wer war es?«, fragte er leise.
    »Ein Lehrer von meiner alten Schule.«
    »Was ist passiert?«, wagte er sich vorsichtig vor.
    »Er hat mich nach dem Unterricht zu sich gerufen, um einen Aufsatz zu besprechen, den ich verhauen hatte.« Und indem ich einfach meine Gedanken dorthin schweifen ließ, indem ich ihnen diese Freiheit gewährte – was selten passierte –, war ich plötzlich wieder vierzehn, gefangen in diesem Klassenzimmer, und versuchte kläglich, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Ich konnte fühlen, wie sich seine Finger in meine Arme gruben, als er mich nach unten drückte, konnte die unbarmherzige Absicht in seinen Augen sehen; konnte das billige, scharfe Rasierwasser riechen, das sich mit dem Geruch seiner glitschigen, verschwitzten Haut mischte.
    »Egal«, sagte ich rasch, weil ich versuchte, mich von den Bildern loszureißen. »Eine Lehrerin kam herein. Das war eigentlich seltsam. Sie arbeitete auf der anderen Seite des Schulgebäudes und konnte sich später nie wieder daran erinnern, warum sie den ganzen Weg herübergekommen war. Sie sagte, sie hätte nur gewusst, dass etwas nicht stimmte, und hätte sich veranlasst gefühlt, das Klassenzimmer zu überprüfen.«
    »Moment mal. Sie sagte, sie hätte sich veranlasst gefühlt?«, fragte Lincoln mit großen Augen.
    »Ja, etwas in der Richtung.«
    »Jemand hat eingegriffen«, sagte er eher zu sich selbst und schüttelte den Kopf, als könnte er das nicht verstehen. Als er mein fragendes Gesicht sah, wich er aus. »Was ist passiert – ich meine … mit ihm?«
    »Er verlor seinen Job und darf nie wieder mit Kindern arbeiten.«
    »Deshalb hattest du gerade die Schule gewechselt, als wir uns kennenlernten.«
    »Genau.« Dass ich Stephs Freundin wurde und Unterricht im Kickboxen bei Lincoln nahm, hatte mir wieder Hoffnung gegeben. Es war mir zu peinlich, vor ihm zuzugeben, dass mich, bevor sie in mein Leben getreten waren, das absolute Nichts umgeben hatte und dass ich mir nicht sicher war, ob ich dem je entkommen würde.
    Er schwieg eine Zeitlang,
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