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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen
Autoren: Julie Kenner
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dem das Zubehör für die Straßenlaternen gelagert wird. Er hat eine Verbindung zur Kanalisation. Dazwischen ist eine Nische, und dort finden wir den Geheimnishüter.«
    Ich nickte und kletterte den steilen Abhang hoch. An der Metalltür angekommen stellte ich fest, dass sie keinen Griff hatte. Praktischerweise hatte jemand in der Nähe eine Brechstange liegen lassen, mit der ich die Tür aufstemmte. Das Kreischen des Metalls ließ mich schaudern.
    Ich beugte mich hinunter, doch bevor ich hineinkletterte, drehte ich mich noch einmal zu Deacon um. »Tun wir das Richtige?«, fragte ich.
    »Egal, ob es richtig oder falsch ist - wenn du dich rächen willst, bleibt dir nichts anderes übrig.«

40
     
    Der Geheimnishüter saß bewegungslos im Dunkel und sah mich aus wissenden Augen an. Obwohl er nicht sprach, wusste ich, was er dachte: Greif mich an, und ich werde mich verteidigen. Und dann kannst du was erleben.
    Ich zögerte. Ich wollte das nicht tun, aber ich wusste, mir blieb keine Wahl. Jedenfalls nicht, wenn ich irgendwie die Pforte schließen wollte. Heiligte der Zweck die Mittel? Ich wusste es nicht, aber ich nahm es an. Ich versuchte, das Richtige zu tun. Indem ich tötete. Ich hoffte, damit die Welt retten zu können.
    Welche Ironie, dass ich die ganze Zeit geglaubt hatte, genau das zu tun.
    Das Wesen hatte keinen Mund, strähniges graues Haar und kränklich grüne Haut, die straff über seine Knochen gespannt war und wie Stoff wirkte. »Du darfst mir nicht helfen«, sagte ich zu Deacon. »Es funktioniert nur, wenn ich das selbst mache.«
    »Ich weiß«, entgegnete er, drückte meine Hand und trat zurück. Ich holte tief Luft, dann stürzte ich mich mit erhobenem Schwert auf den Geheimnishüter. Inzwischen hatte auch der ein Schwert gezogen, mit dem er mir meins mit irrwitziger Geschwindigkeit aus der Hand schlug. Ich konnte kaum glauben, dass die Bestie angeblich nur so selten kämpfte.
    Ich hängte mich an ein Rohr unter dem Dach, schwang die Beine nach vorn und trat ihm das Schwert aus der Hand. Im nächsten Moment war ich schon wieder am Boden, um mein Schwert aufzuheben, aber er warf sich schreiend auf mich - echt eine Meisterleistung für ein Wesen ohne Mund
    Ich konnte diesen Schrei fühlen, er brannte sich durch mein Gehirn, so scheußlich und so unerwartet, dass es mich richtig aus dem Konzept brachte. Er zögerte nicht eine Sekunde, und schon umklammerten seine Hände meinen Hals. Vor allem aber spürte ich, wie er in meinem Kopf herumstocherte und wir plötzlich miteinander verbunden waren. Ich wollte nicht in seinem Kopf sein und all den Horror sehen, den Dämonen dort versteckt hatten, aber ich konnte es nicht verhindern. Die Gedanken - allesamt abscheulich und schmerzvoll - blitzten vor meinem geistigen Auge auf wie eine Diashow. Flüchtige Einblicke und einzelne Fetzen. Grauenhaft und undeutlich. Pläne und Bündnisse.
    Und Blut. So viel Blut.
    Mein Körper bebte, Schmerz schoss durch mich hindurch und schnürte mir die Glieder ab, die sich anfühlten, als würden sie in Flammen stehen. Ich war mir sicher, dass ich von innen heraus verbrennen würde. Aber ich brannte nicht, ich versank einfach nur in versengender Schwärze, glitt tiefer und tiefer in den Schmerz hinein. Sank tiefer und tiefer in die Gruft des Geheimnishüters ein.
    Ein Körper. Die Prophezeiung wartet darauf.
    So wichtig. Die Aufgabe. Eine große Verantwortung.
    Muss das Gefäß finden. Kleine Alice.
    Wichtige Aufgabe für ein junges Mädchen.
    Suche, suche, suche.
    Besorg sie bei dem Mann.
    Damit sie das Gefäß töten können. Damit sie die Eine hervorbringen können. Die Meisterin.
    Sie wird den dunklen Mächten dienen. Sie wird dienen.
    Sie wird, dienen.
    Das Pendel wird zugunsten der dunklen Mächte ausschlagen, und sie wird ihnen dienen.
    Vor meinem geistigen Auge konnte ich den Sprecher sehen. Tank. Tank hatte den Mord geplant. Hatte Alice ausgewählt. Das Gefäß. Die Meisterin.
    Und die Prophezeiung.
    Ich musste wissen, wie die Prophezeiung lautete. Musste wissen, ob sie sich durch mich erfüllt hatte oder ob es da noch mehr gab.
    Die einzige Möglichkeit, das rauszufinden, bestand darin, nochmals hineinzugehen. Ich wollte es nicht - es schmerzte nicht nur schrecklich, es raubte mir auch alle Kraft. Es saugte mich so aus, dass ich mir nicht sicher war, ob ich die Verbindung beenden könnte. Vielleicht würde ich in den Gedanken des Geheimnishüters auch den Verstand verlieren. Das war wirklich nicht der Ort, an dem ich
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