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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen
Autoren: Julie Kenner
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geistigen Auge Bilder auf, in hoher Auflösung, freigegeben erst ab achtzehn: von einer langen, schmalen Klinge und dem perversen Ausdruck grausamer Freude auf einem Gesicht, das ich nur zu gut kannte. Dem von Lucas Johnson.
    Denn hier konnte es nur um Bache gehen. Er wollte mir meinen Mordversuch heimzahlen. Und jetzt würde ich von der Hand dessen sterben, den ich hatte umbringen wollen.
    Nein, nein, nein!
    Ich konnte unmöglich sterben! Keinesfalls jetzt. Nicht, wenn ich es bis hierhin geschafft hatte.
    Allerdings hatte ich nicht die leiseste Ahnung, warum ich noch am Leben war. Ich erinnerte mich an das Messer, ich erinnerte mich an das Blut. Und dennoch: Ich lebte und atmete. Nun gut, momentan war ich etwas unbeweglich. Aber ich war am Leben. Und wenn es nach mir ging, sollte das auch so bleiben.
    Nie und nimmer würde ich meine kleine Schwester der Gnade dieses Schweins ausliefern. Er hatte sie vergewaltigt und brutal misshandelt. Ihr schwarze R osen und erotische Postkarten geschickt, anonym. Teuflisch, beängstigend. Sie entdeckte ihn immer wieder; er versteckte sich in irgendwelchen Geschäften, lag auf der Lauer. Aber wenn sie um Hilfe schrie, war er schon wieder fort.
    Die Polizei hatte diesen erbärmlichen Irren eingelocht. Doch als ihn das Justizsystem wegen eines Formfehlers wieder auf die Straße gespuckt hatte, musste ich mit ansehen, wie Bose dem totalen Zusammenbruch jeden Tag ein bisschen näher kam. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dieses Monster in Freiheit herumlief, obwohl es eigentlich in einen Käfig eingesperrt gehört hätte, damit es kleinen Mädchen nicht mehr wehtun konnte. Damit es Rose nicht mehr wehtun konnte.
    Deshalb hatte ich die Knarre gestohlen. Ich hatte ihn aufgespürt, und, Gott steh mir bei, ich hatte abgedrückt.
    Erst hatte ich geglaubt, ich hätte ihn voll in die Brust getroffen. Aber ich musste ihn verfehlt haben, denn ich konnte mich erinnern, wie Johnson auf mich zustürzte. Von da an wird alles etwas verschwommen. Ich erinnerte mich an das Entsetzen, als mir klar wurde, dass ich sterben musste, und an einen warmen Hoffnungsstrahl. Aber ich hatte keine Ahnung, was zwischen der warmen, vagen Zuversicht und der kalten, harten Steinplatte, auf der ich derzeit lag, passiert war.
    Erneut starrte ich angestrengt in die Dunkelheit, und diesmal schien sich ein Samtvorhang zu heben. Der Raum war nicht vollkommen finster. Tatsächlich befand sich am anderen Ende eine einzelne Kerze. Die kleine Flamme kämpfte tapfer gegen die Dunkelheit an.
    Verwirrt blickte ich sie an. Ich war mir sicher, dass dort vorher keine Flamme gewesen war.
    Langsam tauchte meine Umgebung in ein rötliches Grau mit dunklen und hellen Flecken, die einander abwechselten. Sie enthüllten eine R eihe winkelförmig angeordneter Symbole oberhalb des Kerzenständers.
    Mein Blick blieb an den Symbolen hängen, und das Zittern kehrte zurück. Irgendetwas stimmte hier nicht. Übermächtige Furcht überwältigte mich. Vielleicht hatte ich es gar nicht mit dem Ungeheuer zu tun, das ich kannte. Vielleicht würde ich mir noch wünschen, dieser erbärmliche Arsch Johnson wäre hinter mir her.
    Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Ich wollte nur noch raus hier.
    Ich wollte schon wieder ziehen und zerren in der verzweifelten Hoffnung, meine Fesseln würden sich wie durch ein Wunder lockern, als ich plötzlich das metallische Knarren einer quietschenden Türangel hörte. Ich erstarrte. Mein Atem wurde flach, alle Muskeln spannten sich an.
    Das Knarren wurde lauter, und als die Tür aufschwang, fiel ein schwacher Lichtstrahl in den Raum. Im Eingang tauchte ein riesiger Schatten auf, die dunkle Silhouette einer monströsen Gestalt. Der Gestank, den sie verbreitete, war derart widerlich, dass ich beinahe kotzen musste.
    Ein Monster. Und keins vom Schlag eines Lucas Johnson.
    Nein, im Vergleich zu der Gestalt, die sich vorwärtsschleppte und sich bücken musste, damit sie überhaupt durch die Tür kam, war Lucas Johnson ein Pfadfinder. Die Kreatur stampfte auf mich zu. Ihre Haut erinnerte mich an Elefanten. Das Monster trug keine Kleider, und sogar in der Dunkelheit konnte ich die Parasiten sehen, die im Schleim seiner Hautfalten lebten. Ich konnte hören, wie sie sich in Sicherheit brachten, während die Bestie auf mich zutrottete. Der üble Gestank, der dem Viech vorauseilte, ließ mich würgen. Als es auf mich herabschaute, hätte ich mich am liebsten unter die Platte verkrochen. Eine
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