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Erwachen

Erwachen

Titel: Erwachen
Autoren: Julie Kenner
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Riesenrotzglocke hing ihm aus der Öffnung, die ihm wohl als Nase diente.
    Die Kreatur verzog den Mund. Die trockene Haut sprang auf, als sich die Muskeln bewegten, und Rinnsale von Blut und Eiter sickerten aus den neu entstandenen Rissen. Sie trabte auf die Kerze zu und beugte sich vor. Feuer schoss in die Luft, als ob der Atem des Viehs aus entflammbarem Gas bestünde. Im Schein des Feuers glühten die Symbole auf.
    Voller Angst und Schmerz schrie ich auf. Mein Körper brannte plötzlich von innen heraus, das Gefühl verschwand jedoch so schlagartig wieder, wie es gekommen war.
    Die Bestie wandte sich zu mir. »Du«, krächzte sie. In den schwarzen Schweinsäuglein loderte Zorn auf, während sie drohend einen kurzen, blutigen Dolch schwang. »Jetzt bringen wir die Sache zu Ende.«’
    Ein schriller Schrei durchbrach die Dunkelheit. Mir wurde klar: Er kam von mir. Feuer schoss mir durch die Glieder, wild entschlossen sprang ich hoch. Zu meiner Überraschung und Erleichterung gelang es mir, die Arme loszueisen, die Fesseln flatterten an meinen Handgelenken wie nutzlose Flügel.
    Die Kreatur hielt inne und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Sie trat einen Schritt zurück, fiel dann auf die Knie und hob die klauenbewehrten Hände hoch. Mit dem Dolch schlitzte sie einen Handteller auf und ließ sich die dicke schwarze Flüssigkeit aus der Wunde ins Maul tropfen. »Ich diene dem Herrn der Finsternis, meinem Gebieter!« Die Worte klangen wie Reifen auf Kies. »Für mein Opfer werde ich belohnt werden.«
    Als ich das Wort Opfer hörte, flippte ich regelrecht aus. Gleichzeitig nutzte ich aber auch die günstige Gelegenheit dieses seltsamen kleinen Monsterrituals aus, um die Fesseln um meine Knöchel wegzureißen. Dabei fiel mir auf, dass ich ein weißes Seidenkleid trug, nicht die Jeans und das T-Shirt, mit denen ich aus dem Haus gegangen war.
    Etwa zur gleichen Zeit, als ich mit dem Entfesseln fertig war, hatte die Kreatur auch ihr Gebet beendet. Mit ausgestrecktem Dolch walzte sie auf mich zu. Ich rollte mich zur Seite, zog das Kleid hoch und die Beine an und stand mit einem gewaltigen Satz neben der Steinplatte. Wahrscheinlich gibt es dafür einen Namen, aber den kannte ich nicht. Teufel auch, ich wusste nicht einmal, dass mein Körper zu so einer Bewegung überhaupt fähig war!
    Allerdings vergeudete ich keine Zeit damit, meine neuen akrobatischen Fähigkeiten zu genießen, sondern raste zur Tür. Zumindest wollte ich das tun. Doch der Anblick der Höllenbestie, die sich dort auftürmte, brachte mich irgendwie von meinem Plan ab. Was mir dann keine andere Wahl ließ, als herumzufedern und nach einem anderen Ausgang zu suchen.
    Natürlich gab es keinen.
    Nein, nein, nein! Bisher hatte ich den verpfuschtesten, abgefahrensten Tag meines Lebens überstanden - da gab ich doch jetzt nicht auf! Und wenn das bedeutete, dass ich gegen diese widerliche Ausgeburt der Hölle kämpfen musste, dann würde ich das tun, verdammt noch mal!
    Das Viech musste den gleichen Gedanken gehabt haben, denn kaum hatte ich mich wieder zur Tür gedreht, holte es aus und klatschte mir den Bücken seiner schweren Klauenpranke quer übers Gesicht. Der Schlag schleuderte mich durchs Zimmer. Ich prallte gegen den hohen Messingkerzenständer, der mir daraufhin voll gegen die Bippen krachte.
    Heißes Wachs brannte sich in meine Brust, aber Zeit, mir Gedanken über die Schmerzen zu machen, hatte ich nicht. Das Untier war schon über mir. Ich tat das Einzige, was ich tun konnte: Ich packte den Kerzenständer und rammte ihn nach oben. Die Bestie wog bestimmt eine Tonne, aber offenbar war die Hebelwirkung auf meiner Seite. Ich erwischte das Monster voll unter dem Kinn. Sein Kopf knallte zurück, und es stieß ein Geheul aus, das meine Trommelfelle nur knapp überstanden.
    Ich bin kein Idiot; natürlich wartete ich nicht erst ab, bis sich das Monster wieder erholte. Der Kerzenständer war zu schwer, um ihn als Waffe zu benutzen, also ließ ich ihn fallen. Ich rannte wie ein geölter Blitz zur Tür und hoffte, dass das Untier allein gekommen war.
    Ich torkelte über die Türschwelle. Noch nie war ich so froh gewesen, in einem dunklen, feuchten Flur zu stehen. Das einzige Licht kam von mittelalterlich aussehenden Kerzenhaltern, die alle paar Meter an den Wänden angebracht waren. Ich wollte nur noch auf und davon. Also rannte ich weiter muffige Flure entlang und um enge Kurven, bis ich endlich - endlich - gegen den Riegel eines Notausgangs prallte. Ein
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