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Erstkontakt

Erstkontakt

Titel: Erstkontakt
Autoren: Jack McDevitt
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gewissen Härte in der Stimme, »ich habe dich nie betrogen.«
    »Gut.« Er ging an ihr vorbei und schob den Hausschlüssel ins Schlüsselloch. »Das freut mich zu hören.«
    Die Babysitterin war Julies Cousine, Ellen Crossway. Sie saß gemütlich vor einem flimmernden Fernsehgerät, hatte ein aufgeschlagenes Buch im Schoß liegen und eine Tasse Kaffee in Greifweite stehen. »Wie war das Stück?« fragte sie mit dem gleichen Lächeln, mit dem Julie ihn im Wilhelm Tell angesehen hatte.
    »Ein Reinfall«, sagte Harry. Er traute seiner Stimme nicht, deshalb beließ er es bei der knappen Antwort.
    Julie hängte ihre Strickweste in den Kleiderschrank. »Sie haben sämtliche bekannten Gags eingebaut. Und der Kriminalfall war gar kein richtiges Rätsel.«
    Harry mochte Ellen.
    Sie hätte der zweite Versuch zur Erschaffung einer Julie sein können: nicht ganz so groß, nicht ganz so hübsch, nicht annähernd so gefühlsbetont. Das Ergebnis war überhaupt nicht unbefriedigend. Harry fragte sich gelegentlich, wie die Dinge sich wohl entwickelt hätten, wenn er Ellen zuerst kennengelernt hätte; aber er zweifelte nicht daran, daß er sie irgendwann mit ihrer aufsehenerregenden Cousine betrogen hätte.
    »Nun«, meinte sie, »das Fernsehprogramm heute abend war auch nicht gerade sensationell.« Sie legte das Buch beiseite. Dann wurde ihr die bedrückende Stille bewußt. Sie blickte von einem zum anderen und seufzte. »Ich muß weg, Freunde. Tommy geht es gut. Wir haben den größten Teil des Abends mit Sherlock Holmes verbracht.« Sie meinte ein Rollenspiel, das Harry im vergangenen Sommer aufgetrieben hatte. Sein Sohn spielte es ständig und schlich mit Watson durch die Tabakläden und Tavernen des London von 1895.
    Harry erkannte, daß Ellen von ihrem Problem wußte. Es paßte ins Bild, daß Julie sich ihr anvertraut hatte. Oder vielleicht war ihre Situation auch auffälliger, als er annahm. Wer wußte sonst noch Bescheid?
    Ellen küßte ihn und drückte ihn etwas fester an sich als üblich. Dann ging sie gemeinsam mit Julie durch die Tür und unterhielt sich mit ihr auf dem Weg vor dem Haus. Harry schaltete den Fernseher aus, ging nach oben und warf einen Blick in das Zimmer seines Sohnes.
    Tommy schlief fest und hatte einen Arm über die Bettkante gestreckt, den anderen in einem Kissengewühl vergraben. Wie immer hatte er die Decke heruntergestrampelt, mit der Harry ihn wieder bedeckte. Seine Kollektion von Peanuts-Comic-Heften lag auf dem Fußboden verstreut. Und seine Basketballkluft hing stolz an der Kleiderschranktür.
    Er sah aus wie ein normales Kind. Doch in der rechten oberen Schublade der Kommode befanden sich eine Injektionsspritze und ein Glasfläschchen Insulin. Tommy war Diabetiker.
    Der Wind hatte leicht aufgefrischt: er fuhr flüsternd durch die Bäume und die Vorhänge. Licht drang durch eine Jalousie und fiel auf das Foto von der Arecibo-Schüssel, die sein Sohn vor ein paar Wochen während eines Besuchs bei Goddard gekauft hatte. Harry stand lange da, ohne sich zu rühren.
    Er hatte während des vergangenen Jahres alles mögliche über Jugenddiabetes gelesen, die die virulenteste Form dieser Krankheit darstellte. Hätte die Krankheit seinen Sohn bereits als Kleinkind ereilt, wäre Tommy womöglich mittlerweile erblindet oder hätte eine Reihe anderer Folgeschäden davongetragen. Seine Lebenserwartung wäre drastisch gesunken. Aber vielleicht war er jetzt außer Gefahr; die Forschung machte große Fortschritte, und die Mediziner gaben sich optimistisch. Der Durchbruch konnte jeden Tag erfolgen. Dennoch wußte niemand genau, wie die Krankheit seinen Sohn hatte ereilen können: es gab in keiner der beiden Familien Hinweise auf das Vorhandensein von Diabetes. Manchmal, so meinten die Ärzte, passiert so etwas eben.
    Verflucht noch mal.
    Er würde das Kind nicht aufgeben.
    Aber noch ehe Harry sein eigenes Schlafzimmer erreicht hatte, wußte er, daß er unter Umständen keine andere Wahl hätte.
     
    Um zwei Uhr morgens begann es zu regnen. Blitze zitterten draußen vor den Fenstern, und der Wind peitschte gegen die Seitenfront des Hauses. Harry lag auf dem Rücken, starrte zur Decke und lauschte dem rhythmischen Atem seiner Frau. Nach einer Weile vermochte er es nicht mehr länger zu ertragen, zog sich den Bademantel an und ging nach unten, auf die Veranda hinaus. Wasser trommelte aus einer teilweise verstopften Regenrinne. Das Geräusch klang irgendwie frivol und bildete einen Kontrast zu dem röhrenden
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