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Erste Male

Erste Male

Titel: Erste Male
Autoren: Megan McCafferty
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nicht ertragen kann, nicht auf dem Laufenden zu sein.
    »Sie hatten so einen Song, der öfter im Radio lief«, sagte ich.
    »Genau! Stimmt. Wie hieß der noch gleich?« Ihre Augen platzten inzwischen fast aus dem Schädel.
    »›Tongue-Kissing Cousins‹.«
    »Genau!« Mit dem Ausruf fängt fast jeder Satz von Brandi an. So eine Art Methode, ihre verwirrten Beratungsopfer zu bestärken, die sie bestimmt in ihrer Beraterausbildung gelernt hat. »›Tongue-Kissing Cousins‹. Der Song rockt echt.«
    »Na ja, es ist eher eine langsame Nummer.«
    »Ja, genau! Eine langsame Nummer.«
    Und so bestärkten wir uns ein, zwei Minuten lang gegenseitig, bis sie mich für stabil genug hielt, ohne jeden Eintrag in die Schulakte entlassen zu werden.
    Und dann passierte was Seltsames.
    Als ich aus ihrem Sprechzimmer kam, stolperte ich beinahe über zwei nackte Beine voller Narben und Kratzer. Marcus Flutie hing auf einem der Stühle im Vorzimmer und streckte seine langen Stelzen vor die Tür. Marcus gehört an unserer Schule zur Kategorie »Ausschuss«. Ich glaube, er wartete auf seinen Bewährungshelfer. Letztes Frühjahr wurde er verhaftet, weil er Drogen genommen oder gekauft oder verkauft hatte – ich weiß nicht so genau, was, es war jedenfalls Teil des Kriegs gegen Drogen, den die Stadt nach Heaths Tod anzettelte. Marcus war vier Jahre jünger als Heath und seine Drogenkumpel, deshalb hatten sie ihn zu einer Art Kiffermaskottchen gemacht. (Er ist ein Jahr älter als Hope und ich, aber in unserem Jahrgang, weil er in der Grundschule eine Klasse zurückgestuft wurde, weiß der Himmel, wieso.) Und weil Marihuana natürlich eine Einstiegsdroge ist, gingen sie alle bald zu besseren und stärkeren Substanzen über: Pilzen, Acid, Ecstasy, Kokain, Heroin und so weiter.
    Die Sache mit Marcus ist, dass zugedröhnte Mädel, die es nicht besser wissen, ihn sexy finden. Er hat so staubige rötliche Dreadlocks, durch die man nicht mal mit den Fingern streichen kann. Seine Lider hängen immer auf halbmast. Seine Lippen sind meist zu einem halben Lächeln verzogen, als wüsste er von einem Riesenwitz, der gerade auf deine Kosten gemacht wird, von dem du aber noch nichts ahnst. Er hat immer eine Freundin, die er immer betrügt. Daher trägt er den Spitznamen »Krispy Kreme«, so wie die Donut-Kette. »Krispy«, weil er sich dauernd das Hirn wegbrutzelt, und »Krispy Kreme«, weil er angeblich schon »drei Kisten Creme-Donuts vernascht hat«. (Im PHS-Slang bedeutet das, er hat schon mit mindestens sechsunddreißigMädchen geschlafen. In einer Kiste sind ein Dutzend Donuts – klar?)
    Kurz gesagt ist Marcus Flutie genau die Sorte »zwielichtige Gestalt«, aus deren Reichweite Hope entfernt werden sollte. Das war allerdings gar nicht nötig, weil Hope Marcus und die ganzen anderen ehemaligen Freunde von Heath nämlich hasst, genauso wie Drogen und Alkohol. Sie wäre tief und aufrichtig enttäuscht, wenn ich mich mit ihm oder seinen Lastern einließe, also ging ich schnurstracks an ihm vorbei. Ich hatte schon die Hand auf der Türklinke, als er hinter mir herrief.
    »Hey, Tongue-Kissing Cousin !«
    Ich hatte ihn zwar ab und zu bei Hope zu Hause gesehen, aber Marcus und ich hatten einander noch nie richtig registriert. Also blieb ich wie angewurzelt stehen und wusste nicht, ob ich a) lachen, b) irgendwas sagen oder c) ihn ignorieren und einfach weitergehen sollte. Ich entschied mich für eine brillante Kombi aus a) und b).
    »Äh, klar. Ha, ha, ha.«
    Ich drehte mich um und Marcus lächelte mich an. Das brachte mich total aus dem Konzept. Es war nämlich ein ganz schön vertrautes Lächeln. Als ob er mich kannte, als ob er mir dauernd in die Augen schaute, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, dass er mir auch nur einmal einen seiner trägen, bekifften Blicke geschenkt hätte, wenn ich im Klassenzimmer an ihm vorbeiging (weil er nicht schnell genug weggucken konnte oder so).
    »Ich hätte mich hier draußen beinah bepisst vor Lachen«, sagte er.
    »Äh, na dann vielen Dank oder so.«
    »Du bist ein echtes Lügentalent, Cousin .«
    Er sah mir immer noch direkt in die Augen. Ich kicherte.Wenn ich nervös werde, fange ich immer an zu kichern wie ein kleines Mädchen. Meine nervigste Angewohnheit.
    »Was hast du noch zu verbergen?«
    Ich kaute an der Unterlippe (meine zweitnervigste Angewohnheit), machte die Tür auf und floh.
    Die Sache ist: Er hat Recht. Wenn ich erst mal mit einer Lüge loslege, bin ich nicht mehr zu halten. Ein weitgehend
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