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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer
Autoren: Stephen Baxter
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sehen, ob er noch atmete.
    Godgifu war entsetzt. »Sihtric — Edwards Fluch – er wollte, dass Harold seine Brüder fallen sah, bevor er selbst geblendet wurde …«
    Sihtric jammerte nicht um seinen König oder sein Land, sondern um die Prophezeiung. »Noch eine Stunde, und wir hätten es geschafft. Vierhundert Jahre Geschichte kulminieren in diesem Augenblick – nur noch eine Stunde –, und der zufällige Flug eines Pfeils hat alles zunichte gemacht!«
    Aber Godgifu dachte, dass die Schlacht in Harolds Herz schon lange vor diesem Pfeil verloren gewesen war.
    Der Kampfeslärm rückte näher. Godgifu hörte hastige Befehle. »Haltet den Wall! Haltet den Wall!« Und: »Rettet den König. Her zu mir, her zu mir!« Männer
eilten mit grimmiger Miene auf ihre Positionen und zogen ihr Schwert.
    Godgifu drehte sich zu Sihtric um, der in seinem törichten Kettenhemd verloren wirkte. »Gib mir dein Schwert«, sagte sie.
    »Aber …«
    »Mach schon!«
    Er zog es aus der Scheide und gab es ihr. Sie drehte sich um und lief dorthin, wo gekämpft wurde.
    Und der Schildwall brach zusammen. Mit lautem Geschrei fluteten die Normannen über den Kamm des Hügels, um den sie den ganzen Tag gekämpft hatten. Die Engländer wichen mit erhobenen Schilden zurück, in kleinen Gruppen, und kämpften um ihr Leben.
    Orm, der ebenfalls schrie, sich aber nicht hören konnte, kämpfte im Halbdunkel mit seinen beiden schweren Schwertern weiter und durchbohrte einen Engländer nach dem anderen. Sein Ziel waren immer noch die Standarten, wo der gefallene König liegen musste.
    Ein neuer Gegner nahm vor ihm Aufstellung, kleiner als er, ohne Schild, ohne Kettenhemd, nur mit einem Schwert bewaffnet. Er sah ein Gesicht, blaue Augen, und er wusste, wer das war. Aber nach einem Tag des Krieges traf sein Körper seine eigenen Entscheidungen. Orm benutzte seine beiden Schwerter wie eine Schere, durchschnitt seiner Gegnerin den Hals und trennte ihr den Kopf ab.
    Ihr . Dies war Godgifu. Sie war auf der Stelle tot, und er hätte sich nicht bremsen können.

    Er hörte einen Schrei wie von einem strangulierten Hund, und etwas Schweres flog ihm an den Hals. Es war Sihtric, in einem Kettenhemd, aber ohne Waffen. Er hatte die Hände um Orms Kehle gelegt, aber Orm stieß ihn mühelos weg und hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt, bis der Zorn des Priesters einem elenden Weinen wich. Godgifus kopfloser Leichnam lag zu ihren Füßen.
    Die angreifende normannische Kavallerie verfolgte bereits die Fyrd-Männer, die geschlagen die Flucht antraten. Die englischen Huscarls kämpften grimmig weiter, gaben ihrem König ein letztes Mal, was sie ihm schuldeten. Und vier normannische Krieger durchbrachen die letzte englische Linie und fielen über Harolds Körper her, hackten auf seine Luftröhre, seinen Rumpf, seine Gliedmaßen ein und trennten ihm sogar die Genitalien ab, bis er endgültig das Leben aushauchte.

EPILOG
1066 N. CHR.

    Es gab ein Durcheinander, ein erwartungsvolles Raunen. Die Menge teilte sich und machte Platz.
    Der König schritt den Mittelgang der Abteikirche entlang. Erzbischof Ealdred ging vor ihm her, prachtvoll anzusehen in seinen reich verzierten Seidengewändern und dem Purpurmantel; er trug die neue Krone Englands, einen goldenen, juwelenbesetzten Reif. Orm schloss aus dem schweren Gang des Königs, dass er unter seinem goldenen Umhang ein Kettenhemd trug. Selbst hier fürchtete er sich vor Attentätern.
    Mit seinen schleppenden Schritten und der steifen Haltung wirkte der König nach seinem Kriegsjahr erschöpft. Aber auf dem Weg zum Altar schaute er mit funkelndem Blick nach links und rechts. Keiner der Adligen wagte es, ihm in die Augen zu sehen.
    »Ich wünschte, deine Zukunft wäre wahr geworden, glaube ich«, sagte Orm aus einem Impuls heraus. »Ich wünschte, ich würde ein Langschiff bereit machen, um im Frühjahr nach Vinland zu fahren, mit Godgifu an meiner Seite und meinem Kind in ihrem Bauch.«
    »Ja«, murmelte Sihtric. »Das wäre mir auch lieber. Das hier ist falsch. Wir sind in der falschen Zukunft,
mein Freund. Und nun werden wir sie nicht mehr los.«
    »Hätte es denn anders kommen können?«
    Sihtric schnaubte. »Du warst doch dabei, Wikinger. Du weißt, wie wenig gefehlt hat. Wenn Harold Tostig eliminiert hätte, wie ich es ihm nachdrücklich geraten habe – wenn Harold und Hardrada gemeinsame Sache gemacht hätten – wenn der Wind nur früher gedreht und William im Mittsommer gelandet wäre, als Harold mit
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