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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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galten, nicht Sutter.
    Und dann kam das letzte Puzzleteil. Bei meiner Pensionierung bekam ich einen Gedichtband geschenkt, weil ich Lyrik sehr mag. Näher als mit einem vollendeten Gedicht können die Menschen der Sprache Gottes nicht kommen. Nun ja, als ich diesen Band durchblättere, stoße ich auf diese unglaublichen Zeilen.«
    Hartmann schloss die Augen und holte tief Luft, bevor er weiter redete: »Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Er mäht das Korn, wenn’s Gott gebot … Ich war aufgewühlt. Wieder habe ich gespürt, dass diese Worte mir galten. Und dann kam die Gewissheit und sie traf mich wie ein Donnerschlag, das können Sie mir glauben. Das Gedicht war von Clemens Brentano! Wie hätte ich da noch an Zufall glauben können?«
    Hartmann hatte das alles leise, mit fester Stimme und im Brustton der Überzeugung vorgetragen. Kluftinger hatte keinen Zweifel: Der Mann spielte nicht, er glaubte, wovon er sprach. Und dem Kommissar jagte ein Schauer über den Rücken, denn auch er fand diese Zufälle eigenartig. Noch vor zwei Wochen hätte er das alles als Hirngespinste eines Irren abgetan, aber in diesen zwei Wochen war zu viel passiert.
    Er dachte nach: Der Richter hatte ein Geständnis abgelegt, das Motiv war klar. Nur das »Wie« stand noch ungeklärt im Raum. »Ihre Taten zu beurteilen ist nicht meine Aufgabe. Mein Beruf ist es, Fragen zu stellen. Fragen wie diese: Wie haben Sie Ihren Sohn davon überzeugt, zu tun, was er getan hat? Ich nehme an, er war Ihr ausführendes Organ?«
    »Überzeugt? Den muss man nicht überzeugen. Wir haben gesagt, was zu tun ist, und er hat gehorcht. Wissen Sie, er ist, wie soll ich sagen, schlichter Natur. Wie Sie sehen, passt auch das in den wunderbaren Plan.«
    »Sie haben gesagt, ›wir haben befohlen‹. Also war Ihre Frau von Anfang an mit dabei? Sie müssen sie nicht belasten, das wissen Sie ja.«
    »Es geht hier nicht darum, zu belasten. Wir unterstehen nicht mehr Ihrer Gerichtsbarkeit, auch wenn Menschen uns aburteilen. Natürlich war es meine Frau. Ich habe zu dem Jungen ja nie einen Draht entwickelt. Aber meiner Frau frisst er aus der Hand. Die hat ihm sagenhafte Geschichten erzählt – vom Dengelstein und so fort
    – und irgendwann wusste auch er, dass es seine Bestimmung ist, mit der Sense zu richten.« »Haben Sie nie davor zurückgeschreckt, Ihren … nun, den
    Sohn Ihrer Frau zu einem Mörder zu machen?« »Ich habe viel Geduld, aber strapazieren Sie sie nicht über die Maßen. Wir haben ihn nicht zum Mörder gemacht, sondern zum Werkzeug einer höheren Gerechtigkeit. Sie sollten vielleicht einmal wieder in die Kirche gehen, dann wüssten Sie, was das bedeutet.«
    »Ach ja?«, fauchte Kluftinger zurück. »›Du sollst nicht töten‹ heißt es in der Bibel, nicht wahr? Mir scheint, Sie haben das ein oder andere vergessen!«
    »In der Bibel steht auch ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹. Ich halte mich gern an den alttestamentarischen, zürnenden Gott«, erwiderte der Richter ungerührt.
    Kluftinger schnaufte. Es war nicht seine Aufgabe, den Mann zu bekehren. Er brauchte nur noch ein paar Informationen, dann würde er sich nie wieder mit ihm befassen müssen. Dann würde die Gerechtigkeit ans Werk gehen, an die er glaubte.
    »Eine Frage habe ich noch: Ich nehme an, die Kollegen der Spurensicherung werden am Dengelstein Spuren von Michaela Heiligenfelds Blut finden. Wir haben nämlich bisher nicht feststellen können, wo sie getötet wurde.«
    Hartmann widersprach nicht.
    »Aber was war mit Sutter? Den haben Sie nicht dort … exekutiert.«
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich. Sutter war stärker, als der Junge gedacht hat. Er hatte dafür keine Zeit mehr. Er musste sofort handeln. Es gab einen Kampf, ich nehme an, Sie werden Spuren bei der Leiche gefunden haben.« Kluftinger fiel die Platzwunde auf Sutters Stirn wieder ein und er nickte.
    Hartmann ergänzte noch: »Ich finde, angesichts seines geistigen Zustands hat er gut improvisiert.«
    Kluftinger zog sich der Magen zusammen, als der Richter ihn für sein Vorgehen lobte.
    »Wie viele standen noch auf Ihrer Liste, Hartmann?«
    Hartman antwortete mit einer Gegenfrage: »Wie viele Strophen hat das Gedicht?«
    Kluftinger begriff, was er sagen wollte. Er hatte genug gehört. Auf einmal machte sich der Schmerz in seinem Arm wieder bemerkbar. Er fühlte sich leer und ausgebrannt. Er gab Strobl ein Zeichen und sie gingen nach draußen. Bevor er die Tür öffnete, drehte sich Kluftinger noch einmal um.
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