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Erntedank

Erntedank

Titel: Erntedank
Autoren: Volker Michael; Klüpfel Kobr
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träufelte. »Ich habe keinen Sohn. Unsere Ehe war kinderlos.«
    »Aber … «, Kluftinger verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, doch der plötzlich aufwallende, brennende Schmerz in seinem Arm ließ ihn ins Stocken geraten. Seine Haut fühlte sich an, als hätte jemand darauf ein Feuer angezündet. Ein kurzer Seitenblick zeigte ihm, dass Sandy die mit der Tinktur getränkte Binde auf die Wunde gepresst hatte. Mit hochrotem Kopf entzog er den Arm nun endgültig seiner Sekretärin und gab ihr durch Kopfnicken deutlich zu verstehen, dass sie sich entfernen solle. Da sie ihr Werk offenbar ohnehin als vollendet ansah, schlüpfte sie widerspruchslos durch die Tür.
    Kluftinger besann sich auf den letzten Satz des Richters: Seine Ehe war kinderlos. Was sollte das nun wieder bedeuten? Sie hatten seinen Sohn doch erwischt. Auch Strobls Blick verriet, dass er keine Ahnung hatte, worauf Hartmann hinaus wollte. Der Richter schien sich über die Ratlosigkeit in den Augen der Polizisten regelrecht zu freuen. Mit einem süffisanten Lächeln sagte er schließlich: »Wenn Sie Ihre Arbeit etwas gründlicher gemacht hätten, meine Herren, dann hätten Sie das sicher herausgefunden. Aber die Unfähigkeit der Polizei, die ich als Richter ja aus nächster Nähe erfahren durfte, habe ich natürlich einkalkuliert.«
    Die Adern auf Kluftingers Schläfen traten hervor. Er zählte innerlich bis drei, denn er wollte sich auf keinen Fall provozieren lassen.
    »Tja, wir haben Sie, oder nicht?«, sagte er, als er sich wieder im Griff hatte.
    Hartmann spannte seine Kiefermuskulatur an.
    »Das schon, aber Ahnung haben Sie trotzdem keine.«
    »Erleuchten Sie uns«, warf Eugen Strobl beleidigt ein.
    »Meine Frau ist vergewaltigt worden, vor dreißig Jahren.«
    Der Richter hatte den Satz geradezu ausgespuckt. Strobl und Kluftinger blickten sich an. Der Abend hielt noch immer Überraschungen bereit.
    »Wir waren völlig verzweifelt damals, meine Frau hat den Schock nie überwunden. Unser Leben war zerstört. Unwiderruflich. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Der Kerl läuft noch immer frei herum. Man hat ihn nie überführen können. Niemand weiß, wer es getan hat. Nicht einmal ich als Richter konnte dagegen etwas unternehmen.«
    »Und Ihr Sohn … «
    » … ist nicht mein Sohn, richtig. Wir wollten ihn nicht, aber er ist auch ein Geschöpf Gottes. Damals haben wir den göttlichen Plan, der hinter all dem stand, nicht durchschaut. Aber sehen Sie, wie sich jetzt alles gefügt hat?«
    Kluftinger schauderte. Er schien tatsächlich zu glauben, dass ein höherer Ratschluss hinter all diesen schrecklichen Ereignissen steckte. »Dass Sie Ihr … dass Sie das Kind Ihrer Frau zum Mörder gemacht haben?«
    »Nicht zum Mörder. Zum Richter!«
    Langsam dämmerte es dem Kommissar. Er begann zu verstehen, was Hartmann mit seinem Feldzug bewirken wollte.
    »Sie meinen, weil Ihre Frau einmal etwas Schreckliches erlitten hat, sollten auch andere leiden?«
    »Nichts! Sie haben nichts begriffen«, schrie der Richter plötzlich. »Mir ging es nicht um Rache. Rache ist allein Gott vorbehalten. Mir ging es um Gerechtigkeit. Weil das menschliche Gesetz manchmal nicht ausreicht, Unrecht zu sühnen, deswegen musste ich handeln. Wir haben es am eigenen Leib erlebt. Aber letztlich war es uns wohl so bestimmt.«
    »Meinen Sie … also«, Kluftinger wusste gar nicht, wie er die Frage formulieren sollte, »Sie meinen tatsächlich, Sie hätten einer höheren Gerechtigkeit gedient?«
    Er nickte.
    Kluftinger dachte nach. Vielleicht wollte er auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Ein Schachzug, der ihm angesichts der Absurdität seiner Taten durchaus gelingen könnte. Aber er wollte ihn nicht so einfach davonkommen lassen.
    »Sie waren doch Richter, Sie haben das Gesetz vertreten … «
    »Ja, aber eben dieses Gesetz hat mir auch Grenzen auferlegt. Grenzen, die ich immer schwerer akzeptieren konnte. Haben Sie denn noch nie das Gefühl gehabt, dass ein Verbrecher, den sie durch mühsame Ermittlungen ausfindig gemacht haben, wegen der Unzulänglichkeit unserer Gesetze viel zu gut davon kam? Vielleicht sogar als freier Mann den Gerichtssaal verlassen hat?« Er schaute den Kommissar durchdringend an. »Nehmen Sie mich: Mich kriegen Sie bestenfalls wegen Beihilfe, vielleicht sogar Anstiftung dran. Nach maximal fünfzehn Jahren bin ich wieder draußen. Dasselbe gilt für meine Frau. Und dem Jungen wird wegen seines Geisteszustands gar nichts passieren. Na, kennen
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