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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers
Autoren: Adam Karillon
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wollte und ihre Sache auch jetzt noch nicht verloren gab.
    Mit spitzem Finger deutete sie nach der Keilschrift meines Mantels hin und erreichte damit, daß der Kommissar die Frage an mich richtete: »Was die Hühnerfüße zu bedeuten hätten.«
    Ich sagte, es sei wohl die Reklame einer Schneiderfirma und wollte weiteres beifügen, als es aus dem Telephon erschallte:
    »Bitte wer dort?«
    »Dein Bundesbruder, erkennst du meine Stimme?«
    »Du, Karrillon? Aber sag Mensch, warum hast du mich noch nicht aufgesucht?«
    »Soll heute noch geschehen, sobald ich wieder auf freien Füßen bin.«
    »Sie sind es schon mein Herr,« mengte sich unter Bücklingen der Beamte in die Unterhaltung. »Ich kann meinerseits nur bedauern, daß Sie durch den Übereifer einer Unerfahrenen in Ungelegenheiten gekommen sind.«
    »Einer Unerfahrenen,« da hatte sie ihren Lohn, die kleine Papiermotte. Nun konnte sie gehn. Aber sie ging nicht, sondern sauste in Sprungschritten die Treppe hinunter, offenbar in Sorge, daß ich nachkommen undsie bei den Ohren nehmen könne. Außer dieser Belästigung erlebte ich nur gutes an der Ruhr.
    Ein Jahr lang weilte ich zu Witten. Länger zu bleiben erschien mir nicht ratsam. Die Zeichen des nahen Zusammenbruchs der deutschen Front waren zu deutlich. Den einen über den andern Tag standen die Granatendreher in den Straßen und drehten – Zigaretten. –
    »Warum schafft ihr nicht?«
    »Wir haben keinen Strom.«
    Diese Antwort war falsch. In Wahrheit fehlte es am Magneteisen zur Herstellung der Geschützmunition.
    Auch Soldaten trieben sich da herum. Sie erzählten ungescheut, daß sie ohne Urlaub die Front verlassen hätten und daß sie nicht gesonnen wären, wieder ins Feld zu gehen. Es ging dem Schlusse zu. Die Begeisterung verrauscht, der Opfermut zerrieben. – – –
    Die letzte Nacht vor meiner Abreise verbrachte ich im Hause des Direktors Liske. Seine Gattin und die Kinder hatten mir viel Anhänglichkeit und Liebe entgegengebracht und als ich in der Morgenfrühe am Bahnhof von den Guten Abschied nahm, war mir das Herz recht schwer. Was hinter mir lag, war mir bekannt, was vor mir drohte, durchaus gespenstisch und rätselvoll.
    Zu Köln am Rhein sah ich mir den Dom noch einmal genauer von außen und innen an, wie man ein Ding betrachten mag, das dem Untergang geweiht ist. Vor achtunddreißig Jahren hatte ich die Einweihung des Wunderbaues mitgemacht. Sollte ich seine Einäscherung noch erleben?
    Der Feind war im Anrücken, wer wollte prophezeien, was geschah?
    Zu Bonn nahm ich Nachtquartier und besuchte den eisernen Ernst Moritz auf seiner Terrasse überm Fluß. Er hat noch immer die Hand erhoben, als ob er Deutschlands Jugend belehren wolle. Allein ich fürchte, er predigt tauben Ohren. Marx und Lassalle haben die Menge hinter sich. Das Herz ist mundtot gemacht. Die Menschen fühlen mit dem Magen.
    Eine Stimme aus meinem Innern flüsterte mir beim Blick über den Rhein und nach dem Siebengebirge hin zu: »Wer weiß, bald wird es einen Deutschen Rhein nicht mehr geben. Laß dich von seinen Wogen noch einmal tragen, bevor das Banner der Alliierten von seinen Burgen weht.«
    Der schmerzliche Gedanke gebar eine unruhige Nacht. Der Morgen sah mich mit meinem Gepäck auf dem Dampfer und es ging stromaufwärts. Viele Leute kamen an den Zwischenstationen mit wehenden Fahnen und Standarten an Bord. Waller warens, die zur Madonna von Bornhofen pilgerten. Wollten sie mit Gebeten fertig bringen, was mit Kanonen nicht zu erreichen war? Laut genug schrillte ihr Rufen zum Himmel hin:
    »O, Maria hilf uns all'
Hier in diesem Jammertal.«
    Umsonst das Beten, umsonst der Sang. Wie eine Springflut wälzten sich die Scharen unserer Feinde dem Rheine zu.Ehe sie die Ufer des heiligen Stromes erreichten, verließ ich Bornhofen, wo ich mich einige Wochen aufgehalten hatte. In Wiesbaden traf ich mit meiner Frau zusammen. Wir waren beide alt und arbeitsmüde und hofften nichts mehr von besseren künftigen Tagen. So mieteten wir uns in der Bäderstadt ein. Bis meine Frau den Umzug von Weinheim bewerkstelligt hatte, wellte ich bei meiner Tochter in Freiburg. Zwei Jahre vorher war ich auch bei ihr gewesen, aber ich hatte unruhige Nächte dort erlebt. Die Flieger von Belfort waren des öftern zum Besuch der Stadt gekommen. Der Keller war Nachtquartier geworden, das Bett ein Kohlenhaufen.
    Die Nachrichten vom Vorrücken des Feindes beschleunigten meine Abreise nach meinem neuen Wohnsitz. In Weinheim machte ich eine kurze Station,
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