Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers
Autoren: Adam Karillon
Vom Netzwerk:
um noch einmal mit meinem Freunde Platz zusammen zu sein. Alte Bekannte von den verschiedenen Stammtischen sahen sich wieder, aber mit veränderten Gesichtern. Die Augen trübe, die Stirnen umwölkt, trotz des Trompetenschalls, der von der Straße her zu uns dringt. Geschlagene Östreicher sind's, die vom Rhein ostwärts nach der Donau fluten.
    Nun nicht länger zögern. Komme, was kommen mag, ich kann die Frau nicht allein in Wiesbaden lassen.
    Ich eile nach dem Bahnhof. Autos flitzen an mir vorüber. Sie sehen verlebt aus ebenso wie die Männer, die in ihren Polstern liegen. Unter den Wagenachsen hervor quälen sich krächzende Töne, wie von einemKranichzuge, der dem Winter vorausfliegt. Wohin zielt die Reise dieser verschlagenen Fuhrwerke. Eilen sie den weichenden Regimentern voraus, um ihnen Quartiere zu bereiten? Sind ihre Insassen Führer, die ihren Posten verlassen haben? Wie niederdrückend, wie undenkbar ist diese Möglichkeit nach so vielen Jahren eines beispiellos zähen Standhaltens. Aber nun nur nicht tiefsinnig werden und stehen bleiben. Immer voran, teils schiebend, teils geschoben. Die Menge drängt nach den Schaltern, nach den Bahnsteigen. Wohin wollen sie, alle diese Vergeisterten mit den flatternden Haaren und zerrissenen Kleidern? Nur an die Bahn, an diese Schlagader des Verkehrs. Man hofft auf eine bessere Nachricht aus der Ferne. Es ist ja nicht möglich, daß unsere Heere anders heimkommen als mit dem Siegeslorbeer um die Fahnen. Man schiebt sich ineinander hinein. Es entsteht eine Mauer von Menschenfleisch. Vorsichtig, um kein Unheil anzurichten, nähert sich die Lokomotive. Ich steige ein. Heppenheim, Bensheim, Zwingenberg ruft es vor den Wagentüren. Überall das gleiche Bild. Die Menge steht, staunt und gafft dem Unglaublichen entgegen.
    In Darmstadt gibt es einen längeren Aufenthalt. Ob und wann ein Zug nach Mainz fährt, weiß man nicht. Ich gehe vor den Bahnhof. In langen Reihen stehen Pferde da herum, magere, struppige, abgetriebene Tiere. Traurig lassen sie die Köpfe hängen. Gewiß nicht jeder Gaul konnte glauben, daß er den siegreichen Feldherrn auf seinem Rücken durchs Brandenburger Tortragen werde, aber daß es keiner von ihnen tat, das schien der große Gattungsschmerz zu sein. Oder war es das Strohseil im Schwanz, das sie beschämte? Hatten sie nicht durch vier Jahre hindurch alle Mühe und Gefahr ihrer Reiter geteilt und nun war dies Sklavenzeichen, daß sie käuflich seien für den Zigeuner, Milchhändler und Pferdemetzger ihr Lohn. O wie undankbar ist doch der Mensch.
    Plötzlich ein Rennen nach den Einsteigehallen. Ein Gerücht geht, daß ein Zug gegen Mainz hinabgelassen werde. Man fragt nicht, welcher Zug das sei. Man steigt nur ein und ist glücklich, daß man sitzt oder steht. Ein Zufall hatte mich gut geleitet. Ich war, wo ich hingehörte, und sah nach einer Stunde bereits, wie sich die Türme der alten Bischofsstadt im Rheine spiegelten. Nur bis zum Neutor ging der Zug. Vorm Tunnel mußten alle Reisenden heraus und nun flutete es mit Kisten und Kasten in die engen Straßen hinein. Welch' ein Gedränge in den Winkeln und Gassen. Jeder schien nur dazu da zu sein, um etwas Verkehrtes zu tun. Der schöpfte Wasser mit einem Sieb, jener spannte einen Maulesel vor eine Komodschublade. Alles schien fort zu wollen und keiner wußte doch wohin. Nur die Diebe waren sich darüber klar, warum sie ihre Beine bemühten.
    Auf der Brücke über den Strom war ein lebensgefährliches Gedränge. »Sie kommen und sperren den Weg nach Wiesbaden ab«, diese Losung war es, die jeden Fuß beflügelte. Und sie kamen auch, die ersten Geschütze von den zurückströmenden Heeren. Mit Müherettete ich mich noch in einen Wagen der Elektrischen hinein und saß am Ende dieser traurigen Reise ratlos bei meiner Frau in Wiesbaden.
    Um nicht ganz im Trübsinn zu versinken, hatte ich mich an meinen Schreibtisch zurückgezogen und fing an, meine fröhliche Vergangenheit niederzuschreiben, um meine traurige Gegenwart zu vergessen.

»Michel, horch, der Seewind pfeift.«
    ber ein Jahr schon hatte ich mich mit Schreiben abgemüht, da kam vom Norden herunter ein frischer Hauch für meine vertrocknende Seele. Eine Depesche aus dem Hamburger Zippelhaus bot mir eine Schiffsarztstelle an auf einem jener Dampfer, die den Gefangenenaustausch über die Ostsee hin vermitteln sollten. Nicht eine Nacht mehr schlief ich in meinem Bett. Die harte Bank eines Eisenbahnabteils war mein Lager. In Hannover trank ich meinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher