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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers
Autoren: Adam Karillon
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versorgt. Der Sohn war in meine Fußstapfen getreten und ging hausieren mit den Kraftbrühen der Medizin. In selbstgerechter Sorglosigkeit hatte ich mich nach einer Schiffsarztstelle umgesehen und war mit dem Dampfer Scandia nach Ostasien gegangen. Noch war ich damit beschäftigt, meine Reiseerlebnisse unter dem Titel »Sechs Schwaben und ein halber« zu sammeln, als der politische Horizont sich mehr und mehr trübte. Es war klar, daß die Wolken, die Deutschland umlagerten, zu einer Entladung führen mußten.
    Eher schon, als diese kam, hatte das Unglück an meiner Tür gepocht. Im Frühjahr 1914 war mein Schwiegersohn gestorben, und die Sorge für zwei Enkel belastete neuerdings meine Schultern. Wenige Monate nur, und wir hatten den Krieg. Mein Sohn war eingerufen und schwamm auf dem Schiffe »Albatroß« in den Gewässern der Nord- und Ostsee herum. Um ihm die künftige Rückkehr zu erleichtern, hatte ich seine Praxis bis zur Beendigung des Feldzuges übernommen. Diese Vorsicht war überflüssig gewesen. Er kam nicht mehr. An dem Gestade der schwedischen Insel Gotland hatte er den Heldentod und ein ehrliches Soldatengrab gefunden. Sein Name aber lebte auf und rauschte in dem deutschen Blätterwald. Hunderte von Briefen regneten nieder auf den Schreibtisch seiner Mutter und auf den meinigen. Darunter war einer, der mit den Worten begann: »Mein lieber Herr Doktor« und endigte: »Ihre Luise Happold.« Ich strengte alle meine Sinne an, um Klarheit darüberzu erlangen, wer die Schreiberin sein könne. Es half nichts. Ich mußte mich an die Entzifferung einer ziemlich undeutlichen Handschrift heranmachen. Ich tat's und stieß auf den folgenden Satz, nachdem eine Anzahl von Beileidsbezeugungen durchgelesen war.
    »Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir zu Würzburg in mein Album schrieben: ›Nun ist die Welt vom Winterschlaf umfangen.‹«
    Ich griff nach meiner Stirn. Das waren ja Verse. Hatte ich mich je mit der Fabrikation von Versen befaßt? Ach richtig – in der Eichhornstraße der fränkischen Bischofsstadt, zugunsten jener Todeskandidatin, die von Meran aus meinen Hauswirten zugereist war. Hätte ich die nicht beerben sollen? Ja doch, und nun lebte sie heute noch.
    Aber nun wo denn?
    Da stand's ja. Zu Sachsenhausen in einer Straße, die ihren Namen von einem Musikanten herleitete, Mozart, Bach oder Wagner.
    Und eingeladen war ich, die Briefschreiberin einmal zu besuchen, wenn mich mein Weg an den Main führen sollte.
    Da ich bald darauf in Frankfurt zu tun hatte, so scheute ich den Gang über die Brücke nicht und fand den Todeskandidaten aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in leidlich guten Gesundheitsverhältnissen vor. Ich glaube, die Absicht, daß das Mädchen mir ihr Vermögen vermachen wollte, mag ihren Körper erhalten haben. Wer ein hohes Alter erreichen will, muß einen deutschen Dichter zum Erben einsetzen.
    Wir sprachen viel über den unseligen Krieg und einiges wenige auch über die Literatur. Während des Geredes erfuhr meine Partnerin mit Staunen, daß der »Michael Hely,« »Die Mühle zu Husterloh« und » O domina mea « von mir verfaßt seien. Sie hatte die Bücher aus einer Leihbibliothek bezogen, und sie hatten ihr gefallen. Von wem sie geschrieben sein mochten, das hatte die Gute nicht interessiert. Der Tod meines Sohnes erst hatte ihr den Gedanken nahegebracht, daß der Student von dazumal mit dem Schiffsarzt des Albatroß in einem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen könne. So war der Brief an mich zustande gekommen und als dessen Folge unsere nähere Aussprache.
    In Weinheim hatten sich rasch die Verhältnisse geändert. Der Überschwang einer patriotischen Begeisterung war im Verlauf des Krieges einer nüchternen Sparsamkeit gewichen. Die Stadtväter fanden, daß sie mehr Spitäler gegründet hatten, als sie unterhalten konnten. So wurde das von mir verwaltete Lazarett aufgehoben, ohne daß ich um meine Meinung gefragt worden wäre. Verärgert verließ ich die Stadt, um mir einen anderen Posten zu suchen.
    Durch Vermittlung meines Freundes Max Nassauer in München fand ich rasch eine ärztliche Verwendung in Schliersee. Dort zwischen den bayrischen Bergen, wo ich dem Kanonendonner von der französischen Grenze ferner war, fand ich die Ruhe wieder zum Schreiben. Lange hatte ich mich mit dem Gedanken getragen, die Gestalt meines Großvaters literarisch festzunageln. Wieich den Alten aber auch packen mochte, immer war er mir für den Wagen zu kurz und für den Karren zu
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