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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn
Autoren: Oliver Hassencamp
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müsse die Feste feiern, wie sie fallen, findet er. Lukas stimmt ihm grundsätzlich zu, nur sei kein Fest kein Anlaß. Für ihn jedenfalls nicht. Draußen in der Halle sind weitere Erfolgsgesichter eingetroffen, in bügelfreien Hemden, mit schwarzen Bordtaschen, schmalen Aktenköfferchen, Katalogmänteln und flotten Hüten, die bestimmt Namen haben, Toledo, Edinburgh oder Kopenhagen. Sie werden begrüßt, die Erfolgsgesichter, von Erfolgsgesichtern, die schon da sind, aus der Bar hinauslaufen, um dem Erich, Georg oder Horst die Hand zu schütteln und gleich an Ort und Stelle eine mit ihm zu rauchen. Auch der Korkenkopf drückt seine Zigarette aus, läuft einem in den Weg, schlenkert die nächste aus dem Päckchen, der andere faßt sie mit den Lippen und beugt sich zu der bereitgehaltenen Flamme. Geschäftsfreunderitual. Und zwischen den Begrüßern ein Wesen für den Nachtclub, mit Trauerweidenhaar, in einem weißen, hemdartigen Gewand, barfuß, schön, unwirklich. Die Begrüßer drehen sich nach ihr um wie Bürger nach einem Blumenkind im Drogenrausch.
    Lukas wundert sich über gar nichts mehr, hat schon gehandelt, noch ehe er begreift, den Arm um Andrea gelegt.
    »Wie kommst du hier her?«
    »Ich bin weg.« Sie klingt benommen. »Du mußt noch das Taxi zahlen.«
    Nichts hat sie an außer dem Krankenhausnachthemd. Grinsend steht der Korkenkopf im Weg.
    »Also doch Feste feiern?«
    Wieder stimmt Lukas ihm grundsätzlich zu, als sei alles in Ordnung, schiebt Andrea zur Drehtür, im selben Fach werden sie hinausgeschaufelt, draußen nimmt er sie auf die Arme und tragt sie zu dem wartenden Taxi.
    »Zurück in die Klinik. Schnell!«
    Andrea liegt in seinem Arm, benommen, aber geborgen. Vielleicht gelingt es ihm, sie zurückzubringen, bevor im Krankenhaus bemerkt wird, daß sie ausgerissen ist. Es muß gelingen, denn ist die Suche erst einmal angelaufen, mit Polizei, gibt es Komplikationen ohne Ende und keine Abreise morgen früh. Auch der Taxifahrer hat begriffen, er fährt entsprechend.
    »Ich hab mir gleich gedacht, daß da was nicht in Ordnung sein kann«, sagt er. »Aber bei der Jugend und der Mode denkt man sich ja nichts mehr, wenn eine nachts im Hemd rumrennt.«
    Andrea gibt einen Laut von sich.
    »Sei ganz ruhig, ich bin ja da!«
    Ich bin eben nicht da und werde sie allein lassen!
    Er küßt sie aufs Haar, faßt ihr behutsam in die Kniekehlen, zieht die Beine hoch, schiebt ihre Füße zum Wärmen unter seinen Oberschenkel.
    Maßgeblich an dieser Fürsorge beteiligt ist sein schlechtes Gewissen. Abgeschoben hat er sie, war froh über die Beruhigungsspritze. Und sie braucht ihn oder handelt reflexhaft in ihrer Benommenheit.
    Da soll sich ein Mensch auskennen!
    Für eine Sekunde tritt er neben sich, sieht sich als Retter von der traurigen Gestalt: Er ist dem allem nicht mehr gewachsen, er will zu alt sein und genießt es doch, sie im Arm zu halten, in Jahrhundertwendebeschützerpose. Der Mann von heute ist am mächtigsten, wenn die Anima schläft. Im Bett wär’s bequemer, aber das hat er sich selber verscherzt, und wer weiß, wofür es gut ist! Komplikationen können das geringere Übel sein.
    Sie sind da. Lukas hat mittlerweile Übung in Andrea-Transporten. Die beiden Fachkräfte am Empfang saßen im Glaskasten und feilten an ihren Fingernageln. Als sie merkten, daß der Mann mit dem apathischen Mädchen sich offenbar auskannte, ließen sie’s bei einem Nicken bewenden und fuhren in ihrer Maniküre fort. Zwar hatten sie schon gehört, daß eine Patientin abgängig sei, aber Ausreißen und Hereinkommen durchs Hauptportal sind schließlich zweierlei. Erst am Ende des schalltoten und jetzt völlig leeren Korridors kam aus der Herrentoilette ein Sanitäter und erkannte Andrea.
    »Da ist sie ja! Wo war sie denn? Sie hat doch ein Schlafmittel! Hier ist der Teufel los.«
    Das konnte Lukas nun wirklich nicht finden, denn ein zweiter Sanitäter, vom ersten gerufen, gab sich ebenso ungerührt wie die Fachkräfte am Empfang. Langsam und deutlich meldete er über Haustelefon, die Abgängige sei wieder da. Seine Gleichgültigkeit hatte etwas Beruhigendes.
    Andrea war vom ersten Sanitäter auf einen Rollwagen gelegt und mit einer Decke zugedeckt worden, mit gemächlichen, kräftesparenden Handgriffen, wie in einer Gepäckaufbewahrung.
    »Lukas!« sagte sie und schloß die Augen wieder, als er ihr seine Hand überließ. Bis der Gepäckaufbewahrer sie hinausrollte.
    Das war der Abschied.
    Der Jungmediziner mit dem unsterilen
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