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Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Titel: Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
Autoren: Patricia A. McKillip
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vernichtet, als Ihr ihn so ohne jedes Verständnis, so ohne jedes Mitleid in seinem Turm einsperrtet. Ihr hättet wissen müssen, daß man einen Schmerz oder einen Zorn nicht bannen kann. Sechs Jahrhunderte habt Ihr auf eine Schlacht mit Farr gewartet. Aber ehe Ihr Euer Schwert in diesem Saal erhebt, werdet Ihr mit mir kämpfen müssen.«
    Sie streifte Licht von den Schilden, von den Armspangen und funkelnden Kronen, von den Fliesen des Bodens und legte einen Feuerkreis um Oen. Sie hielt nach einer einzigen Feuerquelle im großen Saal Ausschau, doch nirgends brannte auch nur eine Kerze. Darum begnügte sie sich damit, das unruhige, ständig die Gestalt wechselnde Element, das sie unter Farrs unheildrohendem Blick gemeistert hatte, ihrem Gedächtnis zu entlocken. Mit einem Trug von Feuerschein umgab sie dann die Trugbilder der Toten. Sie öffnete ihre Hand und zeigte ihnen, wie sie ihm seinen „Willen aufzwingen konnte, wie sie es hoch in die Luft aufsteigen lassen konnte, um es dann versprühen zu lassen wie Wellen, die sich an ihrem Willen brachen. Sie zog mit dem Feuer einen Kreis um die Könige, so wie sie von ihnen gezwungen worden war, um sich selbst einen Kreis zu ziehen, und sah zu, wie sie sich, vom Feuer abrückend, zusammendrängten. Sie hüllte die Schilde in lodernde Flammen und sah, wie sie lautlos wie Blumen zu Boden fielen. Sie umgrenzte die Kronen mit dem Feuer, und die Könige schleuderten sie wie brennende Reifen durch die Luft. Undeutlich, aus weiter Ferne, hörte sie die Stimmen, Vogelstimmen, die brüchige Stimme des Meeres. Dann hörte sie das Meer selbst.
    Sein Rauschen verwob sich mit dem Züngeln der Flammen, die sie formte. Sie hörte das Seufzen des Wassers, das sich am Felsen brach und wieder zurückwich; sie hörte den wimmernden Wind, der klagend zwischen zertrümmerten Gitterstäben hindurchstrich. Das Harfenspiel war verklungen; der Turm war leer. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Oen; halbblind von dem Feuer in ihrem Geist, sah sie ihn nur als einen Schatten, der ein wenig gekrümmt auf seinem Pferd saß. Und eine Wut, die nicht die ihre war, sondern die seines wiedererwachten Landerben, sammelte sich in ihr wie eine ungeheure Flutwelle, die den Turm mit seinen Grundfesten hätte aus dem Felsen reißen und ins Meer schleudern können.
    Die Wut verlieh ihr eine düstere Erkenntnis befremdlicher Kräfte. Sie sagte ihr flüsternd, wie sie die Bodenplatte aus massivem Stein in zwei Teile spalten konnte, wie sie den schmalen, schwarzen Spalt in ein Trugbild gähnender Leere wandeln konnte, das den Geist Oens, namenlos, gedächtnislos, in sich einsaugen würde. Sie zeigte ihr, wie sie die Fenster und Türen ihres eigenen Hauses mit unsichtbarem Zauber verschließen und die Lebenden und Toten in ihm einschließen konnte; wie sie das Trugbild einer Tür schaffen konnte, die einem Wahn von Freiheit offenstand. Sie zeigte ihr, wie sie den trostlosen Schmerz, den ihr das Meer, der Wind und die vergangenen Klänge der Harfe mitteilten, teilen konnte, um ihn in die Steine und Schatten des Hauses zu bannen, so daß keiner darin je lachen würde. Sie spürte ihren eigenen Schmerz und Zorn ‘angefacht, so wie sie das Licht angefacht hatte, und beides vermischte sich mit einer Qual und einer Erbitterung gegen Oen, die weit älter waren, bis sie kaum noch das eine vom anderen unterscheiden konnte; sie wußte kaum noch, daß Oen für sie nicht mehr war als eine Erinnerung Ans, daß er für sie nicht die lebende, schreckliche, erbarmungslose Gestalt aus Ylons Gedächtnis war.
    Sie fühlte, wie sie sich selbst verlor, in der Raserei eines fremden Hasses unterzugehen drohte. Blind, entsetzt kämpfte sie dagegen an, ohne zu wissen, wie sie sich aus diesem unerbittlichen Willen zur Zerstörung, der gegen Oen gerichtet war, befreien sollte. Ihr Entsetzen wich hilflosem Zorn; so wie Oen Ylon gefangengehalten hatte, so war sie jetzt in Haß, Mitleidlosigkeit und Mißverständnis gefangen.
    Doch eines erkannte sie: Ehe sie Oen vernichtete, ehe sie im Hause der Könige von An Mächte freisetzte, die mit dem Landrecht von An nichts gemein hatten, mußte sie den Geist von Ylon, der sich in ihr erhoben hatte, zwingen, das Erbe, das sie beide teilten, und den König, den Menschen, der nur in dieses Erbe eingebunden gewesen war, zum erstenmal klar zu sehen.
    Mit übermenschlicher Anstrengung zog sie die Gesichter der Könige eines nach dem anderen aus dem Feuerschein. Sie entriß dem finsteren Abgrund von
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