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Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Erbschuld: Psychothriller (German Edition)

Titel: Erbschuld: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Kitty Sewell
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Mutter sein«, sagte Charlene unverblümt, während sie aufstand, um Milch aus dem Kühlschrank zu holen.
    Rachel goss den Tee auf. »Nun, ich fürchte, so sind die Dinge nun einmal. Es könnte ja auch sein, dass du noch zu jung bist, um zu verstehen, wie kompliziert das Leben sein kann. Letztendlich muss man das machen, was gut für das Kind ist. Sascha hat jede Menge Verwandte in der Ukraine, Tanten, Onkel, Großeltern, ein großes Haus, viele Cousins und Cousinen – du verstehst schon, was ich meine.« Sie wusste, dass sie nicht so viel reden sollte. Auf Charlene war sie nicht vorbereitet. Ihr Auftauchen brachte ihr sorgfältig ausgedachtes Lügengebäude ins Wanken.
    Charlene musterte sie. Unterschiedliche Gedanken spiegelten sich in ihren Zügen wider, vor allem Ungläubigkeit. Die Kleine war alles andere als dumm. Wenn sie nicht so jung und naiv wäre, könnte sie ihr einfach die Wahrheit sagen. Nein, das ging nicht. Sie musste das Mädchen möglichst schnell loswerden. Wenn Uri jetzt auftauchte, wäre die Katastrophe perfekt.
    Eine Weile tranken sie schweigend ihren Tee. Die Morgensonne auf dem Küchentisch machte die absurde Szene noch unwirklicher. Rachel hatte Bauchschmerzen und musste auf die Toilette, wagte es aber nicht, Charlene allein zu lassen. Nach einigen Minuten leerte sie ihren Becher auf einen Zug und sah auf ihre Armbanduhr. »Verdammt! Ich habe einen Zahnarzttermin, jetzt, um elf. Tut mir leid, aber ich muss los.« Sie sprang auf und räumte schnell die Becher weg.
    Charlene stand ebenfalls auf. »Ich begleite dich.«
    »Nein!«, platzte es aus Rachel heraus. »Es ist nur um die Ecke.« Sie hielt inne und legte ihre Hand auf Charlenes Arm. »Hör zu, Kleines, es tut mir wirklich leid, dass ich dich so abwimmele. Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung. Du bist mager, Charlene … Solltest du nicht besser wieder nach Hause zu deinen Eltern? Sie machen sich bestimmt große Sorgen um dich, so wie du lebst, ohne Dach über dem Kopf und mit ausgenippten Leuten.«
    Charlene grinste sie zynisch an. »Ich weiß, wann ich nicht erwünscht bin.«
    »Aber wenn du sie anrufst …«
    »Ich meine nicht sie«, fiel ihr Charlene ins Wort. »Du wünschst mir alles Gute und willst, dass ich verschwinde, richtig?«
    Rachel schloss einen Augenblick lang die Augen; sie fühlte sich elend. »Es tut mir aufrichtig leid, Charlene. Ich kann dir nicht helfen, ich kann dir nichts geben, noch nicht einmal Freundschaft.« Und sie dachte mit Bedauern: Und hierher zu kommen ist gefährlich, deshalb: ja, bitte, geh! Gesellschaft hätte sie brauchen können, und Charlene war ein netter Mensch, eine potentielle Freundin.
    Spontan zog sie ihr Handy aus der Tasche ihres T-Shirts und hielt es Charlene hin. »Hier, ruf sie an. Ruf sie jetzt an. Du hast mir gerade die Hölle heißgemacht, weil ich Sascha habe ziehen lassen. Du hast gesagt, Kinder gehörten zu ihrer Mutter. Ruf sie an, vorher lasse ich dich nicht gehen.«
    »He!«, lachte Charlene spöttisch. »Pass auf. Ich hätte nichts dagegen.«
    »Es ist mir ernst. Du kannst nicht noch länger auf der Straße leben. Es muss jemand geben, der dich vermisst.«
    Charlene setzte sich wieder hin und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Rachel tätschelte ihr verlegen die Schulter. »Gibt es denn niemanden, den du anrufen könntest?«
    Einen Augenblick später sah Charlene zu ihr hoch. »Vielleicht meine Schwester. Sie wohnt in Stoke.«
    »Wie lautet ihre Nummer?«
    Charlene nannte sie ihr, und Rachel wählte. Sie betete zu Gott, dass Charlenes Schwester den Hörer abnahm. Als sich eine Frauenstimme mit »Hallo« meldete, reichte sie der Kleinen das Handy und verließ die Küche.
    Zehn Minuten später kam eine blasse Charlene ins Wohnzimmer. »Sie haben sich fast zu Tode gesorgt«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Mein Vater hat einen Zusammenbruch gehabt und konnte nicht mehr arbeiten.«
    Rachel nahm ihre Tasche vom Couchtisch, entnahm ihrer Brieftasche alles darin enthaltene Geld und drückte es Charlene in die Hand. »Fahr heim, Mädchen. Geh gleich zum Bahnhof und nimm den nächsten Zug. Denk nicht nach. Bleib nirgendwo stehen. Geh einfach, Charlene.«
    Sobald sie die Tür hinter dem Mädchen geschlossen hatte, brach Rachel zusammen. Sie weinte noch bitterlicher als in den Tagen, nachdem sie Sascha zu Madeleine gebracht hatte. Charlene hatte ihr versprochen, sich gleich auf den Weg nach Hause zu machen, und nun fühlte sie sich entsetzlich allein. Sascha fehlte ihr so sehr, dass
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