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Er lockte mit dem Jenseits

Er lockte mit dem Jenseits

Titel: Er lockte mit dem Jenseits
Autoren: Jason Dark
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Das war kein Skelett mit einer Sense bewaffnet. Er war eine Gestalt, die nicht direkt zu fassen war. Sie stand auf dem Dach, und wenn man sie beschreiben müsste, würde man von einer Mischung aus Geist und Körper sprechen.
    Durchsichtig und zugleich fest. Es war zu dunkel, um das Gesicht zu erkennen, aber sie konnte sich vorstellen, dass es sich um eine männliche Person handelte.
    Ja, der Tod war männlich. Er würde zu ihr kommen – oder sollte sie zu ihm gehen? Sie hatte zugestimmt, sich ins Jenseits bringen zu lassen, und nun hatte die andere Seite ihr Versprechen eingehalten.
    Gehen oder nicht?
    Noch blieb Barbara stehen, aber sie spürte bereits den Druck oder eben das völlig andere, das ihr entgegengebracht wurde. Es war nicht einfach auszuhalten. Sie empfand es wie einen Gruß aus einer fremden Welt.
    Die Gestalt tat nichts. Sie stand auf dem Dach zwischen zwei Kaminen und wartete. Die Frau hörte keine Stimme. Kein Locken, und doch gab es da etwas, das vorhanden war und das sie nicht begriff. Eine andere Macht, die sie aus dem Jenseits traf. Das Versprechen sollte eingelöst werden.
    Obwohl sie selbst nichts dazu getan hatte, spürte sie im Innern den Ruck. Der war wie eine Botschaft gewesen, und jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht stehen bleiben konnte.
    Ihr weiteres Schicksal war vorgezeichnet, und sie musste ihm sehenden Auges entgegengehen.
    Das tat sie auch.
    Der nächste Ruck verwandelte sich in einen Schritt. Dabei löste sich ein leiser Schrei aus ihrem Mund. Sie merkte, dass sie beim Gehen schwankte. Ihre Füße schienen sich auf einem weichen Boden weiterzubewegen. Ihr Gesicht glich jetzt einer Maske, die durch den Schweiß glänzte.
    Das Jenseits lockte...
    Und das Jenseits war in diesen Augenblicken diese andere Gestalt, ein fremdes Wesen, das aussah wie ein Mensch, aber im Endeffekt keiner war, sondern ein Bote aus einer anderen Welt.
    Etwas wirbelte blitzend vor ihren Augen und stand einen Moment später still.
    Es war das Messer!
    Wie durch Zauberhand geführt, war es plötzlich wieder da, und es befand sich verdammt dicht vor ihrem Gesicht. Es brauchte nur kurz nach vorn zu zucken, dann war es um sie geschehen, dann hätte es ihr die Kehle durchschneiden können.
    Es passierte nicht. Das Messer war da, um sie aufzufordern weiterzugehen, Schritt für Schritt durch die Wohnung und dann nach draußen auf das Dach.
    Auf ein hohes Dach, das kein Gitter und keine Brüstung besaß. Sie würde sich möglicherweise dorthin stellen müssen, um anschließend in die Tiefe und in den Tod zu springen.
    Noch befand sie sich in ihrem Zimmer, das ihr stets Geborgenheit gegeben hatte. Diesmal nicht. Es war jetzt die Grenzstation zwischen zwei Welten.
    Barbara Evans wunderte sich darüber, wie klar sie noch ihre Gedanken in die richtigen Bahnen lenken konnte. Nach wie vor fühlte sie sich als Mensch und nicht als dem Tod geweihte Person.
    Das Messer blieb.
    Immer, wenn die Frau einen Schritt vorging, glitt es zurück. Aber die Distanz zum Hals der Frau wurde beibehalten.
    So näherte sie sich dem offenen Fenster. Ihr Blick war auf die Gestalt auf dem Dach fixiert, aber mehr sah sie auch nicht.
    Sie hörte keine Stimme, sie sah keine Bewegung. Das Gesicht zeigte nicht mal eine Kontur. Es zitterte an den Seiten. Augen, Nase und Mund waren nicht vorhanden.
    Eine völlig fremde Gestalt stand vor ihr, und trotzdem kam sie Barbara bekannt vor.
    Sie hielt vor dem Fenster an. Es zu durchklettern war kein Problem. Sie musste sich nicht mal großartig anstrengen, weil die Fensterbank tiefer lag als gewöhnlich.
    Niemand sonst befand sich auf dem Dach. Das bleierne Grau der Dämmerung füllte es allmählich mit seinen Schatten. Barbara kam es vor, als hätte der Tod bereits seine Schwingen ausgestreckt!
    Im Jenseits konnte man nicht leben. Im Jenseits starb man oder existierte auf eine bestimmte Art und Weise. Da war man dann allein. Ebenso allein wie auf dieser Welt.
    Ja, sie fühlte sich allein. Obwohl...
    Plötzlich tauchte ein Gedanke in ihrem Kopf auf. Hatte sie sich nicht just an diesem Abend mit Mike Dublin verabredet? Dem Mann, den sie auf dem Single-Event kennen gelernt hatte?
    Nur über das Datum war sie sich nicht mehr im Klaren. Auf der Party war alles so schnell gegangen. Sie hatte sie wie einen Rausch erlebt, aber für Barbara war Mike der einzige interessante Mann gewesen und umgekehrt sie für ihn die einzige interessante Frau.
    Heute...? Oder vielleicht morgen?
    Sie gab zu, es vergessen zu haben.
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