Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Equinox

Equinox

Titel: Equinox
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
schallte es irgendwo hinter uns. Mich fröstelte, dass ich die Camel kaum halten konnte, doch ich brauchte diese Pause, ich brauchte sie unbedingt. Ich überquerte das weite, von einem großen Kreis mit einem gemalten »H« in der Mitte gezierte Achterdeck bis hin zur Heckreling. Der Nebel war so dicht, dass ich mir sicher sein konnte, mich außerhalb des Sichtbereichs gleich welcher Kamera zu befinden.
    Umso größer meine Überraschung und umso fester der Griff hinein in meinen Overall, als sich mir eine Gestalt näherte, schemenhaft zuerst, wie das so ist, bei aufliegender Wolkendecke.
    Es war, wie sich rasch herausstellte, Ratso. Das warf zwei Fragen auf. Die erste, wie er mich hier gefunden hatte, und die zweite, ob ich ihm vertrauen, ob ich mich in seiner Gegenwart entspannen konnte.
    »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, fragte ich.
    »Wusste ich das?«, fragte er zurück, und ich relaxte unwillkürlich. Vielleicht ist es seelisch bedingt, aber man kann unmöglich allen Menschen um einen herum permanent mit Argwohn begegnen. Es gibt da ein ebenso mächtiges wie idiotisches Bedürfnis nach Nähe, nach Freundschaft, nach Sicherheit und Geborgenheit.
    »Zigarette?«, verlieh ich diesem Bedürfnis Ausdruck, wie nur wir Männer es können.
    Ratso nahm eine, steckte sie an und wir stützten uns gemeinsam auf die Reling und sahen hinaus ins wabernde Nichts.
    »Eins ist sicher«, sagte er nach einer Weile. »Heute Nacht setze ich nicht einen Fuß auch nur irgendwo in die Nähe der Mall.«
    »Was meinst du, was da anliegt?« Ich hatte so meine eigenen Vorstellungen, doch ist es immer von Interesse, mal eine zusätzliche Meinung zu hören.
    »Sieht mir aus wie ‘ne Kollekte«, meinte Ratso und blies blauen in den grauen Dunst. »Schmuck, Bargeld, Schließfachschlüssel. Anschließend, denke ich mal, wird noch der Bordtresor dran glauben müssen, die Geldautomaten. Alles very much Old School.«
    »Und dann?«, fragte ich, und Ratso drehte sich um, lehnte sich mit dem Kreuz an die Reling und ich tat es ihm gleich und wir betrachteten eine Weile das große, auf das Deck gemalte »H«.
    »Der Wetterbericht verspricht Aufklaren gegen Morgen«, wusste er.
    HOOOOOONK machte unser Schiff, HOOOAAAN antwortete es aus der Ferne, irgendwo vorne, HUUUT, HUUUT aus der Nähe, irgendwo hinten.
    Money, money, money, säuselte es, alwaysfiinny, in the rieh man ‘s world.
    Eine der Absonderheiten des Nebels ist, dass der Schall weiter trägt als das Licht. Manchmal unnötig weit.
    Ifl had a little money, it’s a rieh mans world. Welthit auf Welthit, gemolken aus dem Sprachführer »English For Beginners« und einer Reimfibel für britische Kinder im Vorschulalter. Unglaublich.
    Ich schüttelte mich und wandte mich wieder an Ratso.
    »Ein schwarzes Dreieck, davor eine rote Kobra mit einem Dolch im Genick«, sagte ich langsam und nahm einen Zug von meiner Camel.
    »Sagt dir das was?«
    »Red Snake Clan«, kam die Antwort im gleichen bedächtigen Tonfall. »Hatten das Sagen in Sapporo.«
    »Hatten?«
    »Dann trat letztes Jahr ein neues Gesetz gegen Bandenkriminalität und Korruption in Kraft, gleichzeitig bekam Sapporo einen neuen Polizeipräfekten, der überlebte ein Attentat, und dem Red Snake Clan blieb anschließend keine andere Wahl, als sich Hals über Kopf abzusetzen. Wie man hört, versuchen sie jetzt im Ausland Fuß zu fassen.«
    »Sachalin?«
    »Möglich.«
    »Du weißt, dass wir diesen Clan an Bord haben?«
    »Kristof, soweit es mich betrifft, haben Gangster das gleiche Recht auf Urlaub und Erholung wie alle anderen Menschen auch.« Und Ratsos Gesicht spiegelte eine Toleranz und Offenheit, die Hauptkommissar Menden in den Veitstanz getrieben hätte.
    Gemeinsam drehten wir uns wieder um, schnippten unsere Zigaretten weg und verfolgten den Bogenflug der kleinen glühenden Punkte, bis unsere Blicke von ganz allein auf das Landungsdeck fielen, das knapp über der Wasseroberfläche an das Heck der Equinox gebaut war wie eine Terrasse. Obendrauf festgeschnallt lagen die beiden hochseetüchtigen Schlauchboote.
    »Was würdest du tun«, fragte ich nach einer Weile, zögernd, weil man auf manche Fragen eigentlich gar keine Antwort kriegen will, »wenn du an Bord eines Schiffes New-School-mäßig 150 Millionen Dollar abgestaubt hättest und nun etwas Zeit benötigst, um das Geld zu waschen?«
    Ratso drehte mir sehr nachdenklich den Kopf zu. Wr sahen uns an und versuchten jeder für sich die Tatsache zu verarbeiten, dass wir uns
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher