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Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Titel: Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatten — es waren weit über tausend. Wenn er bedachte, daß der Eingang des Tempels am Fuße des Berges lag, dann mußte über ihm eine Meile massiver Granit sein.
    Und vor ihm vielleicht hundert Meilen leerer Gänge und Hallen. Was, flüsterte eine dünne boshafte Stimme in seinem Kopf, wenn die Gesichtslosen Prediger vielleicht nur einen kleinen Teil eines Labyrinthes von Gängen und Stollen bewohnten, das sich unter dem gesamten Gebirge dahinzog? Denn wenn der Tempel viel, viel größer war, als er angenommen hatte, und wenn er sich verirrte, vielleicht geradewegs in die falsche Richtung lief? Was, wenn...
    Skar verscheuchte den Gedanken, blieb einen Moment stehen, um sich zu orientieren, und zuckte hilflos die Achseln. Wo alles gleich aussah, gab es nichts, woran man sich orientieren konnte. Er beschloß, einfach geradeaus zu gehen. Auf diese Weise würde er wenigstens den Rückweg finden, sollte es nötig sein.
    Zumindest überwand er seine Schwäche jetzt zusehends: seine Muskeln arbeiteten wieder geschmeidig und mit der gewohnten Mühelosigkeit, und im gleichen Maße, in dem er die Kontrolle über seinen Körper zurückgewann, wuchs auch seine geistige Disziplin: Es gelang ihm jetzt, die Kälte vollends zu ignorieren und auch den stechenden Schmerz in seinem Nacken niederzukämpfen, bis er zu einem kaum mehr spürbaren Pochen wurde. Dafür meldeten sich auch die natürlichen Bedürfnisse seines Körpers: Er bekam Hunger, und kurz darauf- was schlimmer war — Durst. Den Durst konnte er stillen, denn er fand Wasser, das aus einem Riß in der Decke sickerte und in einem steinernen Becken auf halber Höhe der Wand aufgefangen wurde. Es schmeckte abgestanden und nach Metall, und es hinterließ einen widerwärtigen Nachgeschmack auf seiner Zunge, aber es stillte wenigstens seinen Durst.
    Skar rastete eine Weile unter dem Becken. Da er nackt war, hatte er keine Möglichkeit, etwas von dem Wasser mitzunehmen, und so trank er, so viel er nur konnte, auch wenn der schlechte Geschmack in seinem Mund dabei so intensiv wurde, daß er fast fürchtete, sich abermals übergeben zu müssen.
    Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, zurückzugehen und eine der zahlreichen Abzweigungen zu nehmen, an denen er vorübergekommen war, verwarf die Idee aber wieder. Das einzige, was er damit erreichen würde, wäre, sich gründlich zu verirren —und das war nun weiß Gott das Letzte, was er sich leisten konnte. So ging er schließlich weiter.
    Seine Geduld wurde belohnt. Der Gang weitete sich plötzlich zu einer gewaltigen, würfelförmigen Halle, und als er sie zur Hälfte durchquert hatte, erkannte er sie wieder: er war in jenem Teil des Tempels, in dem seine Kammer lag. Die Halle gehörte zu dem Weg, den er fast täglich zurückgelegt hatte, um den Oberpriester zu sehen.
    Aber auch sie hatte sich verändert, auch wenn Skar den Unterschied im ersten Moment nicht in Worte zu fassen vermochte. In einer Umgebung, die ohnehin fast vollkommen leer war, waren Veränderungen schwer zu bemerken.
    Aber gerade das war es:
    Bisher war der Tempel
fast
leer gewesen. Jetzt war er es wirklich.
    Die Fackeln, die in eisernen Haltern an der Wand gebrannt hatten, waren fort. Die Gebetsmühlen, die neben jeder Tür angebracht gewesen waren, verschwunden. Auf dem Boden lag Staub; nicht sehr viel, aber es war eine geschlossene Decke, halb so stark wie sein kleiner Finger und seit Wochen von keinem Fuß mehr berührt.
    Skar erschrak.
Wie lange hatte er geschlafen?
    Für einen Moment drohte er die Beherrschung zu verlieren.
    Angst packte ihn, eine vollkommen irrationale Angst, die keinen Grund zu haben schien und gegen die er wehrlos war. Seine Hände und Knie begannen zu zittern. Er fuhr herum, so schnell, daß ihm abermals schwindelte, starrte aus weit aufgerissenen Augen in die Halle und stellte fest, daß er vergessen hatte, welche der zahllosen Türen zu seinem Quartier führte.
    Mit aller Macht kämpfte er die Panik nieder, die der Furcht folgen wollte, schloß die Augen und zwang sich, an nichts zu denken. Aber es fiel ihm sonderbar schwer, obwohl er Satai war und eine Übung wie diese zu seinem täglichen Trainingsprogramm gehörte. Eine völlig irrationale, gräßliche Furcht packte ihn. Er schrie abermals auf, krümmte sich und ballte die Fäuste, bis jeder einzelne Muskel in seinen Armen und Schultern zu schmerzen begann.
    Es half. Der Schmerz war schlimmer als die Furcht, und als die Panik verging, kehrten auch seine Erinnerungen
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