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Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Titel: Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Vielleicht war das, was er bisher immer für Ehrfurcht und Respekt gehalten hatte, in Wahrheit nichts anderes als nackte Angst.
    Ohne ein weiteres Wort setzte er die Schale an die Lippen und leerte sie in einem einzigen Zug. Die Flüssigkeit war eisig, kälter noch als Eis, und die Kälte ließ sie geschmacklos werden und betäubte das Brennen, mit dem sie seine Kehle herabrann. Der Prediger hatte versprochen, daß es fast schmerzlos sein würde. Und plötzlich hatte er keine Angst mehr. Er fühlte sich frei, ein Mann, der alles getan hatte, was er tun mußte. Es gab nichts mehr, was auf ihn wartete. Seine ganze Sorge hatte dem Kind gegolten, in den letzten dreieinhalb Monaten, aber auch das war vorbei. Ruhig gab er dem Alten die Schale zurück.
    » Wie lange wird es dauern ?«
    »Niemand weiß das, Satai. Stunden, Wochen, Jahre — vielleicht Jahrhunderte. Für dich wird keine Zeit vergehen. Du wirst einschlafen und wieder aufwachen.«
    »Vielleicht.«
    »Vielleicht.«
    Skar schwieg. Die Spur dumpfer Betäubung, die die Flüssigkeit in seiner Kehle zurückgelassen hatte, wich langsam einem schmerzhaften Prickeln und Brennen, aber gleichzeitig breitete sich, von seinem Magen kommend und im Rhythmus seiner Herzschläge, ein Gefühl wohltuender Betäubung in seinem Körper aus. Es würde ein Wettlauf werden, aber wenn überhaupt, dann würde er nur für sehr kurze Zeit Schmerzen ertragen müssen. Er fürchtete sich nicht davor. Der Schmerz war sein Bruder. Er hatte gelernt, ihn zu lieben.
    »Was«, murmelte er, «wenn ich... wenn ich verliere?«
    »Wir werden dir helfen«, antwortete der Prediger. »Wir und Er.«
    Er. Skar schauderte. Der Gesichtslose Gott. Der Gott ohne Namen. Warum hatte er plötzlich Angst, Angst vor einem Begriff, einem Gott, der nur aus einer Idee bestand, wie all die anderen Götter auch? Wovor hatte er Angst, gerade er, der Unbesiegbare, der stärkste Mann, der jemals den fünfzackigen Stern der Satai getragen hatte? Er, der die Existenz von Göttern und Dämonen stets verleugnet und ihnen ins Gesicht gelacht hatte?
    »Du bist stark, Satai«, sagte der Prediger und fügte nach einer Weile des Schweigens hinzu: »Und — wir werden dir beistehen.« »Stark...« Skar lächelte bitter. Die Taubheit breitete sich schnell in seinem Körper aus und begann seine Gedanken einzulullen. Es war ein angenehmes Gefühl. » Vielleicht bin ich stark, aber er —«
    »Hat die Macht eines Gottes?« Diesmal lachte der Alte wirklich, und zum ersten Mal, seit Skar dieses unterirdische Reich des Schweigens betreten hatte, glaubte er ein Echo zu hören, nicht mit seinen normalen menschlichen Sinnen, denn sie zählten hier unten nicht, sondern mit seiner Seele: ein leises, vielleicht spöttisches, möglicherweise höhnisches Lachen, mit dem...
Etwas
auf seine Worte reagierte. Der Gesichtslose Gott mochte keinen Namen haben, aber er war nicht stumm.
    » Vielleicht hat er sie«, fuhr der Alte ernsthaft fort. Das Brennen in Skars Kehle wurde stärker und fast unerträglich. »Aber du bist sein Vater, Satai. Kann er ein Gott sein, — wenn ein Sterblicher ihn gezeugt hat?« Wieder lachte er. »Du fürchtest ihn, Satai, und du tust recht daran, ihn zu fürchten, denn sein Name ist Tod, und er ist ein Kind des Hasses. Aber du hast ihn schon einmal besiegt.« »Er war jünger. Gerade geboren und... unsicher. Und ich habe ihn nicht besiegt. Darum ging es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Zerstören ist leichter als Erschaffen, alter Mann.«
    »Nicht Erschaffen. Formen. Du wirst er, und er wird du.
    Kämpfe nicht gegen ihn. Forme ihn. Denke daran, daß es unmöglich ist, ihn zu vernichten. Du kannst ihn töten, aber damit würdest du alles nur noch schlimmer machen.«
    Skar wollte antworten, aber seine Stimme versagte ihm plötzlich den Dienst. Die Woge der Lähmung erreichte seine Knie. Er wankte, griff zitternd nach dem Prediger und fiel, als seine Finger nicht mehr die Kraft hatten, zuzupacken.
    »Wehr dich nicht, Satai«, sagte der Prediger. »Es geht schneller, wenn du dich nicht wehrst. Aber ich fürchte, das kannst du nicht. Dazu bist du zu stark. Und Stärke wird leicht zum Fluch.« Er sprach noch weiter, aber Skar verstand nicht mehr, was er sagte. Ein dumpfes, immer unangenehmer werdendes Brausen und Rauschen war mit einem Mal in seinen Ohren, und dann, ganz plötzlich, war der Schmerz da. Ein entsetzlicher Schmerz, der von Augenblick zu Augenblick schlimmer wurde. Der Alte hatte ihn belogen. — es
tat
weh.
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