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Entscheidungen

Entscheidungen

Titel: Entscheidungen
Autoren: Marie Hoehne
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ja nie, wer zu Besuch kommt."
    "Darf ich Sie etwas fragen?" Ich biss zögernd hinein. Er schmeckte nach Butter und irgendwie… lieblich.
    "Natürlich."
    "Wie sind Sie… zum Vampir geworden? Und wieso helfen Sie den Menschen?"
    "Das sind zwei sehr interessante Fragen." Jona legte den Kopf zurück und dachte einen Moment lang nach. Dann beugte sie sich zu mir vor und sah mich ernst an.
    "Ich helfe ihnen, weil ich das immer schon getan habe. Schon vor zweihundertfünfzig Jahren."
    Ich starrte gebannt in ihre dunklen Augen.
    "Damals ging es in Europa nicht besonders nett zu. Hast du schon einmal von der Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit gehört?"
    Ich nickte zögernd. Ich erinnerte mich dunkel, bereits einmal etwas darüber gelesen zu haben.
    "Ich lebte damals im heutigen Deutschland. Ich war eine alte Frau, mein Leben lang habe ich versucht, andere Menschen zu heilen, ihre Schmerzen zu lindern, ihnen in Notsituationen zu helfen, genau wie meine Mutter." Sie schwieg und hing einige Sekunden lang ihren Gedanken nach. "Und ebenso wie meine Tochter es getan hat."
    "Ihre Tochter?"
    "Dorothea." Sie lächelte. "Eine hübsche Frau. Zu hübsch wohl."
    "Ich verstehe nicht."
    "Die Menschen waren damals noch um einiges abergläubischer als heute. Es reichte eine bloße Beschuldigung, um einen Menschen in den Ruin zu treiben. Meine Tochter verschmähte einen Mann aus unserem Dorf. Er beschuldigte uns daraufhin der Hexerei und wir wurden verhaftet und eingesperrt."
    "Einfach so?" Ich bekam große Augen.
    Jona nickte. "Einfach so." Ihr Blick wanderte durch das pompös geschmückte Zimmer und blieb schließlich an mir hängen. "Damals wurde viel gefoltert. Es gab kaum Möglichkeiten, einer Strafe zu entkommen. Oft wurden die beschuldigten Frauen und Männer so lange gequält, bis ihre Schuld bewiesen war."
    "Wie?" Ich hielt vor Anspannung den Atem an.
    Jona seufzte leise. "Sie sperrten meine Tochter in einen Sack und tauchten sie so lange ins Wasser, bis sie ertrank."
    Ich riss entgeistert die Augen auf. "Wieso?"
    "Sollte sie mit dem Teufel im Bunde sein, würde sie überleben, nur ihr Tod konnte beweisen, dass ihre Seele rein war."
    "Das ist doch Wahnsinn!"
    "Und doch ist es geschehen."
    "Und dann?" Ich wusste nicht, ob ich mit meinen Fragen zu weit ging. Jona sah mitgenommen aus. Die alte Frau wirkte mit einem Mal müde, fast kraftlos.
    "Sie kamen zu mir, um mir mitzuteilen, dass Dorothea unschuldig gewesen war." Sie lachte freudlos. "Ich verwünschte sie alle. Es war mir gleich, was sie mit mir machen würden. Sie hatten mir das Liebste genommen, was ich auf der Welt besessen hatte. Sollten sie mich ruhig auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ich war alt, aber Dorothea…" Sie schüttelte den Kopf, immer noch fassungslos über so viel Grausamkeit. "Sie war nicht viel älter als du gewesen."
    Ich schluckte schwer.
    "In der gleichen Nacht wurde mein Urteil verkündet. Ich wurde der Hexerei schuldig gesprochen. Schließlich hatte ich Macht, vor der sich einige Menschen damals sehr ängstigten. Zwar hatten sie meine Hilfe in Anspruch genommen, als sie sie gebraucht hatten, doch das zählte nun nicht mehr."
    "Aber Sie wurden gerettet."
    "Ich wurde verwandelt, auf dem Weg zum Schafott."
    "Wie konnte das geschehen?" Ich konnte es kaum glauben, dass Jona all das zugestoßen war. Es klang so unwirklich, doch hier saß sie, vor mir, fast dreihundert Jahre alt und sie hatte mir geholfen, so wie sie es immer schon getan hatte und wofür sie schließlich bitterlich bestraft worden war.
    "Die Männer, die mich dorthin brachten, wurden überfallen. Unten den Angreifern war ein Mann, den ich tags zuvor bereits im Gericht gesehen hatte: Henri von Bergen. Ich konnte ihn anfangs nicht so recht einordnen. Sein Name hatte sich geändert. Er hieß einmal Matthias. Ich hatte seine Mutter nach der Geburt seiner kleinen Schwester gerettet. Er war es, der mich verwandelte. Er war mir viele Jahre lang ein treuer Gefährte gewesen." Sie lächelte bei der Erinnerung an ihn.
    "Wo ist er jetzt?"
    "Mal hier, mal dort. Henri ist ein Lebemann. Er reist viel, genießt seine Zeit, den Verlauf der Geschichte. Er ist überall dort, wo etwas passiert. Er ist nach all der Zeit immer noch sehr wissbegierig."
    Ich nickte langsam. Es war alles schwer zu begreifen. Der menschliche Verstand war nicht ausgelegt, solche Geschichten als wahr zu erachten. Doch hier saß sie vor mir, eine unsterbliche Heilerin, deren Leben so grausam geendet hatte.
    "Wie haben Sie Sam
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