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Entscheidungen

Entscheidungen

Titel: Entscheidungen
Autoren: Marie Hoehne
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über die Wand hinunter zu meinem Nachttisch, auf dem mein Handy lag. Ich wusste, dass Handys in Krankenhäusern verboten waren, doch ich war allein im Zimmer. Niemand war da, um mich deswegen zu schelten.
    Sam hatte sich vor einer halben Ewigkeit auf die Suche nach etwas zu trinken für mich begeben, und ich spürte die Unruhe in mir stetig wachsen, weil er nicht zurückkam.
    Meine Mutter hatte angerufen, und ich hatte schon wieder gelogen. Wurde das jetzt zur Gewohnheit? Ich verabscheute Lügen, doch ich tat es zu ihrem Schutz. Welche Mutter wollte schon hören, dass die eigene Tochter im Krankenhaus lag, weil sie über ein Auto geflogen war?
    Das Auto war nicht langsam gewesen. Ich hätte das nicht überleben dürfen. Nicht so.
    Irgendetwas stimmte nicht. Und was waren das für Gefühle in meinem Innern? Sie passten überhaupt nicht zu mir. Sie waren so… fremd und doch irgendwie vertraut.
    Ich bekam Kopfschmerzen von den ganzen Gedanken, von den vielen unbeantworteten Fragen. Was genau war mit mir passiert, nachdem ich von Sams Blut getrunken hatte?
    Entschlossen setzte ich mich auf.
    In der Schublade des Nachttischs hatte ich eine kleine Schere entdeckt. Sie war dort vorsorglich platziert worden, um Mullbinden oder Klebestreifen zu schneiden. Doch ich brauchte keine Verbände. Ich hatte nicht einmal einen blauen Fleck.
    Mir wurde schwindelig, als ich daran dachte. Bloß nicht panisch werden. Ich war kein Vampir. Ich hatte einen Herzschlag. Ich hatte das schreckliche Abendessen des Krankenhauses hinuntergewürgt und es war mir nicht wieder hochgekommen und ich hatte die Sonne auf meiner Haut gespürt. Es war alles in Ordnung.
    Zögernd streckte ich die Hand aus und griff nach der Schere. Sie schimmerte glänzend im Schein der Nachttischlampe, und ich hatte das Gefühl, nicht die Augen von ihr nehmen zu können. Interessiert balancierte ich sie in der Hand. Ihre Scheren liefen zum Ende hin spitz zu.
    Ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich sie über meinen Handrücken. Der Schmerz schoss durch meinen Körper, und ich spürte augenblicklich, wie mir die Tränen kamen.
    Heftig blinzelnd starrte ich auf den roten Schnitt. Das Blut quoll hervor, und ich spürte ein befriedigendes Gefühl in meinem Innern aufsteigen. Alles war in Ordnung. Ich hatte mich nicht verändert, ich…
    Ich blinzelte heftig. Das war nicht möglich!
    Der Schnitt würde kleiner, zog sich regelrecht zusammen, das Blut versiegte und nur Sekunden später war nicht mehr als eine kleine zartrosa Narbe zu sehen.
    Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Was hatte das zu bedeuten?
    Hektisch schlug ich die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Was war nur los mit mir?
    Ich riss das Fenster auf und atmete ein paarmal tief ein und wieder aus. Die kühle Nachtluft tat mir gut. Ich schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche vorbeifahrender Autos unten auf der Straße. Ich hatte mir das sicher nur eingebildet. Der Schnitt war nicht besonders tief gewesen und doch…
    Nein, das war unmöglich. Das war… verrückt!
    Vor Aufregung bekam ich einen Schluckauf.
    Ich musste hier raus!
    Schnell griff ich nach meiner Jacke und meinem Handy und öffnete leise die Tür zum Flur. Der Gang war nur schwach erleuchtet. Alles war ruhig. Kein Wunder, es war bereits weit nach Mitternacht.
    Wo war Sam?
    Ich schloss die Augen und dachte einen Moment lang an sein schönes Gesicht, seine dunklen Augen, das struppige Haar. Er war ganz in der Nähe, das konnte ich fühlen und es machte mir Angst.
    Mein Herz klopfte fast bis zum Zerspringen.
    Vielleicht wurde ich ja auch langsam verrückt! Vielleicht…
    "Lily, ist alles In Ordnung?" Er stand so unvermittelt neben mir, dass ich einen kleinen Satz machte.
    "Ich muss hier raus", presste ich atemlos hervor.
    Sam sagte nichts, sondern musterte mich nur kurz eingehend. Dann nahm er meine Hand und gemeinsamen huschten wir den langen Flur hinunter, an der Nachtschwester vorbei zum Treppenhaus.
    Ich wagte kaum zu atmen, bis wir endlich das große Tor der Klinik erreicht hatten.
    Schweigend traten wir hinaus auf die Straße.
    Noch immer spürte ich Sams Hand in meiner, es hatte etwas Tröstliches an sich. Alles würde gut werden.
    Oder?

    Jona beugte sich zu mir hinunter und fixierte mich mit ihren wachen dunklen Augen. Ihr Blick war mir unangenehm, ich fühlte mich wie ein seltenes Tier, was nun auf dem Präsentierteller saß und von allen Seiten bestaunt wurde.
    "Faszinierend.
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