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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen
Autoren: Tania Carver
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Kraft, ihn daran zu hindern.
    Claires Lunge füllte sich nicht mehr mit Luft, ihr Herz hörte auf zu schlagen.
    Ihre Augen schlossen sich ein letztes Mal.

2
     
    Detective Inspector Philip Brennan, Chefermittler bei der Abteilung für Kapitalverbrechen der Polizei von Colchester, stand am Tor zur Hölle. Er streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über und zog sich die Kapuze seines knisternden Papieroveralls über den Kopf. Er musste nur das gelbe Absperrband beiseiteziehen und darunter durchschlüpfen, und schon hätte er die Grenze zwischen Ordnung und Chaos überschritten. Die Grenze zwischen Leben und Tod.
    Er hob das Band an und duckte sich darunter durch.
So viel Blut...
    Hinter ihm schnappte das Band wieder in seine ursprüngliche Höhe. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er ließ die Szene auf sich wirken und wusste, dass er dieses Apartment erst würde hinter sich lassen können, wenn er denjenigen gefasst hatte, der für das Geschehen hier die Verantwortung trug. Und vielleicht nicht einmal dann.
    Der Flur sah aus wie ein Schlachthaus. An Wänden und Boden war so viel Blut, als hätte jemand mehrere Liter roter Farbe aus großer Höhe fallen lassen, die überallhin gespritzt war und sich beim Trocknen in einen rostigen Braunton verwandelt hatte. Aber Farbe roch nicht so. Nach Kupfer und ranzigem Fleisch. Phil zwang sich, durch den Mund zu atmen, aber er schmeckte es sogar auf seiner Zunge. Der Schweiß, der auf seinem Körper juckte, ließ sein Unbehagen noch anwachsen.
    »Kann irgendjemand die Heizung abstellen?«, rief er laut.
    In weiße Overalls gehüllte Menschen bewegten sich durch die Wohnung und gingen konzentriert ihrer Arbeit nach. Phil fiel auf, dass einige von ihnen Papiertüten hielten, die immer dann ausgeteilt wurden, wenn zu befürchten war, dass sich jemand übergeben musste. Sie sollten verhindern, dass das Erbrochene den Tatort verunreinigte. Einige der Tüten waren bereits gefüllt. Einer der Polizisten reagierte auf Phils Bitte und ging los, um den Thermostat zu suchen.
    Die Leiche lag noch im Flur. Die Spurensicherung war bereits fertig mit ihr, und sie konnte zur Autopsie in die Gerichtsmedizin gebracht werden. Vorerst jedoch hatte man sie an Ort und Stelle liegen lassen, damit Phil sich ein genaues Bild vom Tatort machen und auf diese Weise vielleicht einen Ansatzpunkt für seine Ermittlungen finden konnte.
    Er blickte nach unten und schluckte schwer. Eine Frau lag dort, die Gliedmaßen seltsam verrenkt, die Arme ausgestreckt, als wolle sie nach etwas greifen oder als hätte sie versucht, den letzten Atemzug einzufangen, der ihren Körper verließ. Sie trug Jeans und T-Shirt, und ein tiefer Schnitt hatte ihr sowohl die Drosselvene als auch die Halsschlagader an beiden Seiten des Halses durchtrennt. Die Schlieren, die ihre Arme in der Blutlache auf dem Dielenboden hinterlassen hatten, ließen den Schluss zu, dass ihr Tod qualvoll gewesen sein musste. Sie sahen aus wie blutige Engelsflügel.
    Phil wandte sich an einen Mann von der Spurensicherung, der rechts neben ihm stand.
    »Kann ich nach hinten durch?«
    Der Mann nickte. »Ich glaube, wir haben alles, was wir brauchen.« »Fotos?«
    Der Mann nickte wieder.
    Vorsichtig, damit er kein Blut in die übrigen Räume trug, machte Phil einen Schritt über die Leiche hinweg. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Er ging darauf zu, blickte hinein, und augenblicklich drehte sich ihm der Magen um. »Oh Gott. Das ist ja entsetzlich ...«
    Eine Gestalt im weißen Anzug hatte Phil gehört. Sie löste sich aus der Gruppe am anderen Ende des Flurs und kam zu ihm. »Als wäre es jemals
nicht
entsetzlich.«
    »Aber so schlimm wie das ...« Der Geruch war hier noch durchdringender. Phil konnte ihn nicht beschreiben. Er war Leben, er war Tod. Er war all das, was den menschlichen Körper ausmachte. Wer ihn einmal gerochen hatte, vergaß ihn nie. Und Phil hatte ihn schon oft gerochen.
    Während er die Leiche auf dem Bett ansah, spürte er, wie sich seine Brust zusammenzog und seine Arme zu zittern begannen.
Nein.
Dies war nicht der Zeitpunkt für eine Panikattacke. Er atmete tief durch den Mund ein und aus und kämpfte mit aller Macht gegen die aufsteigende Angst, bis seine Atmung ihren normalen Rhythmus wiedergefunden hatte. Benimm dich gefälligst wie ein Polizist, sagte er sich. Es ist deine Aufgabe, Ordnung in dieses Chaos zu bringen.
    Der Mann, der neben ihn getreten war, war Detective Sergeant Clayton Thompson, ein Mitglied aus Phils Team. Er war
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