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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen
Autoren: Tania Carver
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groß und attraktiv, und das Weiß der Kapuze betonte seine sonnengebräunte Haut. Das selbstgefällige Grinsen, das er üblicherweise zeigte, hatte einem konzentrierten Stirnrunzeln Platz gemacht. »Sorry, Boss. Wir hätten warten sollen, bis Sie da sind, bevor wir reingehen.«
    Phil legte stets großen Wert darauf, sein gesamtes Team um sich zu haben, bevor er einen Tatort inspizierte. So konnte jeder seinen ersten Eindruck sofort mit den anderen teilen, und alle hatten eine gemeinsame Ausgangsbasis. Daher war er ein wenig verstimmt, dass Clayton nicht auf ihn gewartet hatte, doch angesichts der ernsten Lage war seine Entscheidung nachvollziehbar.
    »Wo ist Anni?«, wollte er wissen.
    Als Antwort auf seine Frage tauchte im Rahmen der Badezimmertür ein Kopf auf.
    »Hier, Boss.« Detective Constable Anni Hepburn war klein, schlank und hatte kurze, nach allen Seiten abstehende Haare, deren Farbe ständig wechselte, die aber immer in lebhaftem Kontrast zu ihrer dunklen Haut stand. An diesem Tag waren die Strähnen, die unter dem Rand ihrer Kapuze hervorlugten, größtenteils blond. Sie warf Clayton einen verstohlenen Seitenblick zu. »'tschuldigung, wir hätten auf Sie warten sollen, aber die von der Kriminaltechnik haben gesagt...«
    Phil hob eine Hand. »Jetzt sind wir ja alle hier. Lassen Sie uns anfangen.«
    Wieder sahen sich Clayton und Anni an. Nur flüchtig, aber Phil entging es dennoch nicht. Er vermochte den Blick nicht recht zu interpretieren, hoffte aber, dass er nicht das bedeutete, was er befürchtete. Er wusste nur zu gut, wie viel weibliche Aufmerksamkeit Clayton zuteil wurde - eine Tatsache, die dieser zur Genüge auszunutzen verstand. Aber bitte nicht mit Mitgliedern seines Teams. Nicht mit Anni.
    Phil schob den Gedanken beiseite. Jetzt war kaum der geeignete Zeitpunkt, um sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Sie hatten jede Menge Arbeit vor sich.
    Phil ging zurück ins Schlafzimmer. Die Leute von der Kriminaltechnik hatten ihre Bogenlampen aufgebaut und auf das Bett in der Mitte ausgerichtet, welches durch das gleißende Licht etwas Unwirkliches bekam, wie eine Filmkulisse oder ein Bühnenbild im Theater. Die Männer bewegten sich in gedrücktem, beinahe ehrfürchtigem Schweigen durch den Raum, bückten sich hin und wieder, um etwas konzentriert zu betrachten, nahmen Abstriche und füllten Tütchen mit Proben, die sie in Koffern verstauten. Wie Inspizienten oder Requisiteure, die vor einer Aufführung ein letztes Mal alles überprüften.
    Oder Gläubige vor einem Opferaltar,
dachte Phil. Auf dem Bett lag eine Frau, nackt, die Beine gespreizt, Hand- und Fußgelenke ans metallene Bettgestell gefesselt. Ihr Bauch war aufgeschlitzt, ihre Augen waren nach oben verdreht, als wären sie vor dem Grauen geflüchtet, das sie hatten mit ansehen müssen.
    Phil musste schlucken. Die Leiche im Flur war schlimm genug gewesen, aber diese hier drohte ihn zum zweiten Mal mit der Tasse Kaffee und den zwei Scheiben Vollkorntoast bekannt zu machen, die er zum Frühstück gegessen hatte. Genau das, was er an einem Dienstagmorgen brauchte.
    »Horror«, entschlüpfte es Clayton.
    »Wir sind hier in Colchester«, sagte Anni kopfschüttelnd. Die anderen beiden sahen sie an. Sie war sichtlich erschüttert. »So was wie das
gibt
es bei uns doch gar nicht. Was zum Teufel ist hier los?«
    Clayton war anzusehen, dass ihm bereits eine Erwiderung auf der Zunge lag. Phil spürte, dass seine Kollegen zu persönlich auf den Fall reagierten, er musste dafür sorgen, dass sie professionell blieben. »Also gut«, sagte er. »Was wissen wir?«
    Anni war mit einem Schlag wieder bei der Sache, ließ eine Hand in ihrem Papieroverall verschwinden, zog ein Notizbuch hervor und klappte es auf. Phil war stolz, dass es Anni gelang, sofort umzuschalten.
    »Die Wohnung gehört einer Claire Fielding«, begann sie. »Grundschullehrerin. Unterrichtet an einer Schule in Lexden.«
    Phil nickte, den Blick unverwandt aufs Bett gerichtet. »Freund? Ehemann?«
    »Freund. Wir haben den Anrufbeantworter und ihren Terminkalender überprüft, und es scheint ganz so, als hätten wir schon einen Namen. Ryan Brotherton. Soll ich mich drum kümmern?«
    »Lassen Sie uns zuerst hier weitermachen. Irgendeine Ahnung, wer die Leiche im Flur ist?«
    »Sie heißt Julie Simpson«, meldete sich nun Clayton zu Wort. »Ebenfalls Lehrerin, eine Kollegin von Claire Fielding. Ihr Ehemann hat sich mit uns in Verbindung gesetzt.«
    »Weil sie gestern Abend nicht nach Hause
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